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DR KLAUS MUELLER

Publications

TOTGESCHLAGEN, TOTGESCHWIEGEN? Autobiographische Zeugnisse homosexueller Überlebender (2002)

Die Forschungen zum Holocaust und die Kultur des Gedenkens an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung stützen sich auf zwei unterschiedliche Formen des Erinnerns: einerseits auf die Geschichtswissenschaft, die durch ihre akademische Einbindung immer auch eine Form kollektiven Gedächtnisses ist; andererseits auf die individuellen Zeugnisse der Überlebenden selbst – ihre autobiographischen Mitteilungen und ihre Interviews. Der Strom historischer Veröffentlichungen in den letzten Jahren hat gezeigt, dass die sozialgeschichtliche Arbeit zur nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung eine schmale, doch solide Basis geschaffen hat, auf der zukünftige und weiter gehende Forschungsvorhaben definiert werden können. [1]

Doch wo bleiben die Zeugnisse der Überlebenden? Welche Rolle spielen homosexuelle Überlebende in unserer Erinnerungsarbeit, und zugleich, welche Rolle spielt diese Erinnerungsarbeit für sie heute? [2]
Schätzungen zufolge gibt es weltweit rund 15 Tausend Video- und Audiointerviews mit jüdischen Überlebenden. Bis zum März 2001 hat Steven Spielbergs “Survivors of the Shoah Visual History Foundation” 51.478 neue Interviews mit vornehmlich jüdischen Überlebenden hinzugefügt. Nur ein kleiner Anteil der Interviews besteht dabei aus Gesprächen mit Mitgliedern anderer Opfergruppen, denen sich die Shoah Foundation erst ein Jahr nach Anfang ihrer Arbeit geöffnet hat. Die Zahl der Interviews mit homosexuellen Überlebenden bleibt bedrückend niedrig und ist ein Indiz für die jahrzehntelange Indifferenz gegenüber ihrem Schicksal. Vier Oral-History-Videointerviews mit homosexuellen Überlebenden finden sich in der Oral History Collection des United States Holocaust Memorial Museums (Washington), zwei Interviews in der Sammlung der Shoah Foundation. Diese allerdings decken sich mit bereits vom U.S. Holocaust Memorial Museum interviewten Zeugen. [3] Weder das “Fortunoff Video Archive for Holocaust Testimonies of Yale University” noch die Oral-History-Kollektion des israelischen Museums Yad Vashem verfügen über Interviews mit homosexuellen Überlebenden. Ein ähnliches Desinteresse kennzeichnet Institutionen in Deutschland, die Zeitzeugen interviewen.

Nicht zufällig sind deshalb in den letzten Jahren wichtige Arbeiten im Bereich des unabhängigen Dokumentarfilms vorgelegt worden, die die Versäumnisse von Forschungseinrichtungen und Museen natürlich nur partiell kompensieren können, aber zu einer breiten öffentlichen Diskussion beigetragen haben. Insbesondere die dabei produzierten Interviews mit Überlebenden sind angesichts der bisherigen kleinen Anzahl von Quellen von besonderer Bedeutung.
“Wir hatten ein großes ‘A’ am Bein” von Joseph Weishaupt and Elke Jeanrond („We were marked with a big ‘A'”; die englische Fassung wurde 1993 vom U.S. Holocaust Memorial Museum untertitelt) zeigte bereits 1991 drei Interviews mit homosexuellen Überlebenden und gab einen Überblick über das Thema.
Neueren Datums sind drei von mir initiierte und historisch betreute Dokumentarfilme. In „Paragraph 175“ (USA 2000), habe ich fünf homosexuelle Überlebende interviewt. [4] „…but I was a girl” (The life of Frieda Belinfante, Niederlande 1999) beruht auf meinem Interview mit Frieda Belinfante, einer lesbischen Widerstandskämpferin. [5] Mein Dokumentarfilm „Just happy the way I am“ (Slowenien/Niederlande 1999) befasst sich mit den pädagogischen Fragen dieses Themas.. [6] Vor allem „Paragraph 175“, der mit Premieren auf dem Sundance und Berlin Film Festival sowie zahlreichen Preisen ein breites Medienecho fand, ermöglichte erstmals einem größeren internationalen Publikum, sich mit individuellen Schicksalen verfolgter Homosexueller zu beschäftigen und Zeugnisse von Überlebenden zu hören.

Das Internet als noch relativ neue Vermittlungsform hat sich seit Ende der 1990er Jahre zu einem wichtigen Forum entwickelt, gibt aber bisher zumeist nur sekundäre Information aus bereits publizierten Quellen. Die von mir für das U.S. Holocaust Memorial Museum entwickelte Online-Ausstellung „Do you remember when“ ist eine der wenigen primären Quellen, der keine Onsite-Ausstellung oder Publikation vorausging. In der Ausstellung wird das individuelle Schicksal von zwei jüdisch-homosexuellen Überlebenden im Rahmen einer Online-Ausstellung thematisiert (www.ushmm.org/doyourememberwhen ).
Ob Film oder online – die Rekonstruktion des Schicksals von individuellen homosexuellen Opfern und Überlebenden ist bislang marginal geblieben. Daher kann sie nur bedingt dazu beitragen, dieses Thema für eine Integration in die Holocaust-Studien und -Erziehung langfristig zu sichern.

Bei den literarischen Zeugnissen bietet sich ein vergleichbares Bild. Die Vielzahl der literarischer Aussagen von jüdischen Überlebenden ermöglicht mittlerweile ein sehr differenziertes Bild der individuellen und kollektiven Verfolgung. Stellen wir uns für einen Moment vor, wir müssten die Verfolgung der europäischen Juden rekonstruieren ohne die Zeugnisse von Elie Wiesel, Viktor Klemperer, Anne Frank oder Primo Levi. Stellen wir uns vor, wir müssten die Erinnerung und das Gedächtnis an die Judenverfolgung formen ohne die Zeugnisse, Erinnerungen und Reflektionen der Überlebenden – ohne ihre Stimme. Das ist nur schwer vorstellbar. Und doch ist dies die Situation, mit der wir uns konfrontiert sehen bei der Rekonstrukion des Schicksals der Homosexuellen.

An literarischen Zeugnissen homosexueller Überlebender besitzen wir bislang nur zwei: von Heinz Heger “Die Männer mit dem rosa Winkel” und von Pierre Seel “Moi, Pierre Seel, déporté homosexuel”. [7]
Eine Handvoll biographischer Dokumentationen unter anderem von Lutz van Dijk und Andreas Sternweiler sowie weniger als 15 zum großen Teil anonymisierte Interviewfragmente mit homosexuellen Überlebenden bei Stümke/Finkler und anderen Publikationen fügen sich zu dieser – im Vergleich – überaus bescheidenen Anzahl historischer Zeugnisse. [8]

Über die Erfahrungen homosexueller Überlebender zu sprechen, heißt daher über die Gründe ihres Schweigens zu sprechen. Nur innerhalb einer Rekonstruktion dieses auferlegten Schweigens können Jene verstanden werden, die trotz alledem Zeugnis abgelegt haben.
Eine Analyse der ‘Zeugnisse homosexueller Überlebender’ (ich beschränke mich im folgenden auf die von Überlebenden selbst geschriebenen Zeugnisse) setzt drei falsche Prämissen, die hier zunächst problematisiert werden sollen. Zum ersten die Annahme, dass wir das Schicksal der Männer mit dem rosa Winkel und ihre Erfahrungen nach 1945 problemlos als ein kollektives Geschehen behandeln können. Als der Ausgangspunkt, von dem aus wir sprechen, ist festzuhalten: Mehr als 99% aller homosexuellen Überlebenden haben uns ihre Geschichte nicht erzählt und werden uns ihre Geschichte nie erzählen. Sie blieben allein mit der Erinnerung und starben allein mit der Erinnerung. [9] Schon die Tatsache, dass die historische Forschung bis heute über die Anzahl der als homosexuell identifizierten, internierten Männer mit dem rosa Winkel nur eine ungefähre Schätzung angeben kann, spricht für sich.

Die Annahme, es habe eine wie auch immer charakterisierte Gruppe homosexueller Überlebender existiert, ignoriert das bedeutendste Charakteristikum ihres Lebens nach der Befreiung: ihre extreme Isolation. Homosexuelle Überlebende haben sich selten als Teil eines Kollektivs gefühlt. Das ihnen durch die Nachkriegsgesellschaften aufgezwungene Schweigen hat sie individualisiert. Ihre Verfolgung wurde zum individuellen Schicksal.
Eine zweite Prämisse ist falsch: Indem wir sie als Gruppe homosexueller Verfolgter identifizieren, verdecken wir die historische Komplexität sexueller Identitätskonstruktionen. Die Konstruktion des Homosexuellen als differenter sexueller wie sozialer Identität leitet sich aus den medizinischen und politischen Diskursen des 19. Jahrhunderts über Degeneration und Perversion her: ein überaus fruchtbarer Boden für eine Vielzahl von rassistischen und sexistischen Identifikationen. [10] Die Biologisierung dieser kulturellen Vorurteile – indem man den Juden, den Homosexuellen, den Zigeuner, den Behinderten als Degenerationen der Natur erklärte – erwies sich als signifikanter Motivkomplex bei ihrer Ermordung fünfzig Jahre später und mag eine Erklärung für die passive Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber dem massenhaften Mord sein.

Ein Vergleich zur Verdeutlichung: Der Antisemitismus prägt die historische Existenz des Judentums, ist aber nur ein Teil seiner Geschichte. Die Geschichte der Sexualität und Homosexualität ist nur in geringem Maße die Geschichte sexuellen Verhaltens oder sexueller Akte. Sie wird viel nachhaltiger geprägt von den sozialen Identifikationen und Bedeutungen des Sexuellen, die quer durch die Geschichte auf Individuen und Gruppen projektiert wurden und werden.
Die historische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus muss sich mit diesem komplexen Erbe des Rassismus auseinandersetzen; einem Rassismus, der immer auch durch Sprache, durch Kategorien ausgetragen wurde. Einerseits können wir nicht abstrahieren von der sozialen Gruppe, zu der das (homosexuelle) Individuum gehörte und/oder durch Nazi-Identifikationen subsumiert wurde: dem eigentlichen Grund, warum er oder sie interniert wurde. Es bleibt jedoch problematisch, die Identifikationskategorien (Jude, Homosexueller, Zigeuner etc.), die die Nazis für die Einteilung der Lager benutzten, unreflektiert in Holocaust-Studien wieder zu verwenden. Damit ordnen wir Individuen erneut unter soziale Etiketten, die eng mit der Geschichte des Rassismus und der Konstruktion des Anderen verbunden sind. Andererseits jedoch wurden diese Identifikationen seit dem 19. Jahrhundert auch für die Suche nach einer positiven Selbstbestimmung von homosexuellen Männern benutzt. Die Geschichte von Emanzipation und Repression entwickelte sich entlang dieser Linie von sozialer (und häufig ausgrenzender) Identifikation und positiver Identitätsbildung. Das Etikett ‘homosexuelle Überlebende’ steht in dieser ambivalenten Tradition.

Zur dritten falschen Prämisse: In unserem Bedürfnis, homosexuelle Überlebende plötzlich in eine Gedenkkultur zu integrieren, an der sie nie teilhatten, bezeichnen wir sie als ‘Überlebende’. Als ‘Überlebender’ hat man die individuellen und sozialen Erfahrungen derjenigen gemacht, die den Lagern entkommen sind. Doch im Begriff liegt auch die soziale und kollektive Anerkennung der Außenwelt: der Ausdruck eines würdevollen Respekts gegenüber dem ‘survivor’. Im Begriff des ‘Überlebenden’, wie er heute verwendet wird, liegt die einfache, aber absolut notwendige Anerkennung des sozialen Unrechts, das den Opfern des Nationalsozialismus widerfuhr.
Aber die Männer mit dem rosa Winkel haben diese einfache Anerkennung nie erfahren. Man hat sie von der Gedenkkultur ausgeschlossen. Sie wurden als Kriminelle und Perverse behandelt. Ihre Würde ist in der deutschen Nachkriegsgesellschaft dauerhaft zerstört worden. So verstanden sind die Homosexuellen, die 1945 die Lager verließen, keine ‘Überlebenden’. Sie haben nur überlebt.

REKONSTRUKTION DER NACHKRIEGSSITUATION
Um das Schweigen wie den Wert der wenigen Zeugnisse homosexueller Verfolgter des Nazi-Regimes zu verstehen, sei zunächst die politische und juristische Situation ehemaliger homosexueller Gefangener nach 1945 skizziert, also der Rahmen, in dem die wenigen Zeugnisse Überlebender verstanden werden können. Ich beschränke mich auf wenige Stichworte.

– Sowohl den Allierten wie den deutschen Nachkriegsautoritäten war die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung 1945 ausreichend bekannt, und zwar durch Zeugnisse von Mitgefangenen wie durch Nazi-Dokumente.
– Weder bei den Nürnberger Prozessen noch bei späteren Gerichtsverfahren gegen Nazis wurde die Verfolgung der Homosexuellen juristisch geahndet. Die Ende der 1940er Jahre stark auflebende Homophobie in Europa wie den Vereinigten Staaten (McCarthy) tabuisierte die Analyse dieser spezifischen Form nationalsozialistischer Ideologie und Verfolgungspraxis. So wurde auch eine politische Analyse der vielfältigen Kontinuitäten verhindert, die sich natürlich nicht allein hier, aber auf eine besondere Art auch bei diesem Thema vor und nach 1945 herstellten. Öffentlich ausgedrückter Antisemitismus wurde zu einem Tabu nach 1945; die Homosexuellenfeindlichkeit jedoch blieb unhinterfragt. Der ‘Homosexuelle als Anderer’ wurde zum Symbol des Außenseiters und Perversen; er wurde als Abgrenzungsfigur von fast allen gesellschaftlichen Gruppen gleichgültig welcher politischer Prägung in ihrem Anspruch auf Respektabilität benutzt. Auch liberale Kräfte in der Bundesrepublik scheuten sich lange, die Homosexuellenfrage als politische Frage aufzunehmen.
– Die nationalsozialistische Revision des §175 im Jahre 1935 wurde von den Allierten wie den späteren Bundesbehörden als geltendes Recht übernommen. Das Bundesverfassungsgericht verteidigte diese Übernahme eines nationalsozialistischen Gesetzes 1957 mit bevölkerungspolitischen und ‘sittlichen’ Überlegungen, die an nationalsozialistische Vorstellungen zum Teil eng anschlossen.
– Die erste deutsche Homosexuellen- und Lesbenbewegung unter Führung von Magnus Hirschfeld ist von den Nationalsozialisten dauerhaft zerstört worden. In den 1950er und 1960er Jahren misslangen Anknüpfungsversuche. Es blieb bei einzelnen, einflusslosen Homosexuellengruppen im Untergrund.
– Die zweite deutsche Homosexuellen- und Lesbenbewegung hat es weder vermocht noch mit Entschiedenheit versucht, Kontakt zu Überlebenden herzustellen. Insbesondere die politische Radikalität der siebziger/achtziger Jahre und deren ästhetischer Ausdruck ist den Überlebenden fremd und befremdend.
– Homosexuelle Opfer wurden und werden von Entschädigung und Wiedergutmachung ausgeschlossen und galten als vorbestraft. Bis heute ist die Entschädigung verfolgter Homosexueller unterblieben. Auch die Anerkennung der NS-Homosexuellenverfolgung als Unrecht durch den deutschen Bundestag ändert nichts am nach wie vor bestehenden Fehlen einer finanziellen Entschädigung und juristischen Revision des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1957. Die Abdrängung der politischen Auseinandersetzung in symbolische Gesten und Erklärungen verhindert eine rechtliche und finanzielle Klärung.
– Die bundesrepublikanischen Strafbehörden nahmen die Verfolgung Homosexueller wieder auf und benutzten den 1935 von den Nazis verschärften Paragraph 175 als Rechtsgrundlage. Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung waren als ‘Vorbestrafte’ besonders gefährdet. Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist nicht nur von der fehlenden historischen Aufarbeitung, sondern auch der Kontinuität der Homosexuellenverfolgung geprägt. Eine rechtliche und finanzielle Aufarbeitung der Verfolgung muss notwendig die juristischen Kontinuitäten nach 1945 bis 1969 mit thematisieren.
– Die historische Forschung und die Gedenkkultur an die Opfer des Nationalsozialismus haben die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung jahrzehntelang verschwiegen, negiert und damit ihren Teil zu dem unheilvollen Schweigen gegenüber den Opfern und Überlebenden beigetragen. Anfang der 1990er Jahre durchbrach das United States Holocaust Memorial Museum diese Praxis und stieß damit die allmähliche Integration des Themas in auch deutsche Gedenkstätten und Museen an; eine Reihe von deutschen Gedenkstätten hat mittlerweile Ausstellungen angepasst oder wie Sachsenhausen eine Sonderausstellung zusammen mit dem Schwulen Museum gestaltet. [11]
– Erst durch die Arbeit überwiegend homosexueller und lesbischer Historiker/innen wurde die – unterschiedliche – Verfolgung homosexueller Männer und lesbischer Frauen aufgearbeitet. Dies geschah Anfang/Mitte der 1980er Jahre durch Rüdiger Lautmann, Stümke/Finkler und Richard Plant und ab Ende der 1980er Jahre durch Arbeiten von Günter Grau, Burkhard Jellonnek, Lutz van Dijk, Claudia Schoppmann und andere.
– Seit Ende der 90er Jahre wächst die öffentliche Diskussion über die jahrzehntelange Negation der Homosexuellenverfolgung; maßgeblich geprägt durch die Arbeit des U.S. Holocaust Memorial Museums und den erfolgreichen Dokumentarfilm ‚Paragraph 175’, aber auch durch die Arbeit der Pink Triangle Coalition, der Initiative zum Mahnmal für die homosexuellen Opfer und die Ausstellungen des Schwulen Museums und die Forschungsarbeiten der Magnus Hirschfeld Gesellschaft. [12]

DIE GEFAHR DES ERINNERNS
Angesichts der Kontinuität der Verfolgung nach 1945 und der juristischen Kriminalisierung von Homosexuellen ist es nicht verwunderlich, dass Zeugnisse homosexuelle Überlebende in Gefahr gebracht hätten – waren sie potentiell doch immer auch Zielobjekte für eine mögliche zukünftige Verfolgung.
Homosexuelle Männer und lesbische Frauen lebten zwischen 1945 und Mitte der 1960er im Untergrund. Der Kontakt untereinander funktionierte häufig nur mit äußerster Vorsicht. 1969 berichtet der Spiegel in einem Leitartikel zur Abschaffung des §175 über die Lebenssituation Homosexueller in einer westdeutschen Kleinstadt: “Adressen und Telefonnummern ihrer Freunde lernen sie auswendig. Briefe werden sofort vernichtet.” “Wenn hier eingebrochen wird oder uns stößt etwas zu und die Polizei kommt ins Haus – hier findet niemand einen Hinweis.” [13] Die erzwungene Maskerade der Nazizeit setzte sich nach 1945 nahezu ungebrochen durch. Anonymität war ein zentrales Mittel, um leben zu können.
Trotz des rosa Dreiecks als langjährigen Symbols der gay and lesbian community wissen wir sehr wenig über das individuelle Schicksal der Männer mit dem rosa Winkel. Die Nazi-Erfindung des rosa Winkels wurde zum internationalen Symbol von ‘gay and lesbian pride’, weil wir nicht verfolgt werden von individuellen und konkreten Erinnerungen an diejenigen, die gezwungen wurden, den rosa Winkel zu tragen. Unsere Erinnerung ist unpersönlich. [14]

Gerade darum sind die beiden literarischen Zeugnisse verfolgter Homosexueller entscheidend für ein historisches Verständnis der NS-Homosexuellenverfolgung, die nicht allein über eine Analyse von Täterquellen rekonstruiert werden kann. Sämtlichen Akten aus Gestapo- oder SS-Beständen, Gerichtsakten oder Listen aus Konzentrationslagern ist die Dehumanisierung der Verfolgten eingeschrieben, und es ist kaum zufällig, dass sich bisherige Forschungsarbeiten auf eine Rekonstruktion der kollektiven Homosexuellenverfolgung anhand von NS-Quellen beschränkt und kaum Einblicke in die Folgen dieser Verfolgung für individuelle Schicksale und Lebensläufe gewähren. Die Zeugnisse von Heinz Heger und Pierre Seel sind primäre Quellen für eine NS Forschung, die sich nicht auf Täterquellen allein stützen will und kann, aber auch für eine Individualisierung unseres Erinnerns: Die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung zerstörte kollektive Strukturen, aber sie traf individuelle Menschen.

HEINZ HEGERS ZEUGNIS IN ‘DIE MÄNNER MIT DEM ROSA WINKEL’ (1972)
1972 veröffentlichte ein kleiner Verlag in Hamburg das Buch ‘Die Männer mit dem rosa Winkel’ von einem Autor namens Heinz Heger. [15] Das Buch beschreibt die Erfahrungen eines zweiundzwanzigjährigen Wiener Studenten, der 1939 verhaftet wurde wegen Vergehen nach §175 zunächst zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt und dann als ‘Schutzhäftling’ in ein Lager überstellt wurde. Im Januar 1940 wurde er nach Sachsenhausen deportiert und gezwungen, im Klinkerwerk zu arbeiten. Von dort wurde er im Mai 1940 in das Konzentrationslager von Flossenbürg überstellt, wo er zeitweise zusammen mit anderen Rosa-Winkel-Trägern in einen speziellen 175er-Block kam. Während des Todesmarsches von Flossenbürg nach Dachau im April 1945 wurde er von amerikanischen Truppeneinheiten befreit.

Sein Zeugnis wurde zum Symbol für den Streit um die Anerkennung der NS-Verfolgung der Homosexuellen. Die Geschichte des Buches kennzeichnet zugleich die spezifischen Schwierigkeiten in diesem Streit:
– Das Manuskript war 1967/68 fertiggestellt, fand jedoch erst 1972 einen Verleger. In den ersten Jahren wurde es sehr schlecht verkauft, wurde aber ein großer Erfolg in den späten siebziger und den achtziger Jahren. Die Übersetzung in verschiedene Sprachen spiegelte das zunehmende Bedürfnis der gay and lesbian community, sich ihrer eigenen Geschichte zu vergewissern.

– ‘Heinz Heger’ war ein Pseudonym. Der Autor beharrte auf seiner Anonymität. Seine wahre Identität blieb bis kurz nach seinem Tod unbekannt. Die lange Anonymität des Autors tastete die Glaubwürdigkeit seines Zeugnisses an. Im Laufe der Jahre wurde sein Wert als historisches Dokument zunehmend angezweifelt. Im März 1994 starb ‘Heinz Heger’, ohne jemals als Opfer des Nazi-Regimes anerkannt worden zu sein. Der Erfolg seines Buches war ihm nur in sehr beschränktem Maße bewusst.
– Es dauerte 22 Jahre, bis sein einzigartiges Zeugnis nicht länger das einzige Zeugnis war, das uns bekannt ist: Pierre Seel veröffentlichte seine Memoiren.
– Kurz nach dem Tod von ‘Heinz Heger’ vermittelte mir Kurt Krickler, Mitglied der Homosexuellen Initiative in Österreich, den Kontakt mit Hegers Lebenspartner. Durch Hegers langjährigen Partner Wilhelm Kroepfl erfuhr ich Hegers richtigen Namen, Josef Kohout, und die Geschichte des Buches. Erst die Rekonstruktion der Genese des Buches und die nun bestehende Möglichkeit, die Angaben Kohouts in seinem Buch anhand von Lagerdokumenten aus Flossenbürg sowie durch private Unterlagen zu verifizieren, ermöglichen es, die historische Authentizität des Buches zu bestimmen.

Kohouts Zeugnis entstand 1967/68 in Zusammenarbeit mit einem Freund. ‘Heinz Heger’ – so könnte man sagen – war eigentlich ein doppeltes Pseudonym.
“Somit ist das Jahr 1967/68 gekommen. Ein Bekannter von uns, den Josi schon 1936 kannte, fragte eines Tages, ob Josi Lust hätte, dass er ihn mit einem seiner Bekannten zusammenführen kann, der ein Interesse hätte, über die KZ-Zeit von Josi einiges zu erfahren, da er ein Buch über Homos im KZ schreiben will. Josi fragte mich damals nur kurz, soll ich? Meine Antwort war: wenn Du Lust hast, ja, Du wolltest sowieso immer, dass etwas schriftlich festgehalten wird. So lernten wir den späteren “Hr. Heinz Heger” (Hr. Neumann) kennen. Bei diesem Treffen wurde ausgemacht, dass sich Hr. Neumann und Josi jeden Montag mittags für ca. 2 Stunden, durch Monate hindurch, da beide damals im Außendienst beschäftigt, im Büroraum eines Geschäftes trafen, dessen Eigentümer die Beiden ja zusammenbrachte und Josi durch Jahre hindurch dort am Montag jeweils seine Mittagszeit bei einem kleinen “Kaffee-Tratsch” verbrachte. So entstand, gedacht als allgemein gehaltene Erlebnisse der Homos im KZ, die Geschichte des Josi im KZ. Nachdem Josi mit seinen Erzählungen 1967/68 fertig war, sagte Josi damals sehr, sehr erleichtert: fertig. ” (Korrespondenz Wilhelm Kroepfl – Klaus Müller, 5. April, 1995). [16]

Kohouts Zeugnis war ein später Versuch, als Opfer anerkannt zu werden. 1946 hatte Josef Kohout Entschädigung beantragt. Er wurde aber von seinen ehemaligen Mitgefangenen (nunmehr Mitglieder des “Komitees der ehemaligen Gefangenen von Flossenbürg” und entscheidend bei Fragen von Entschädigungen) dahingehend informiert, dass ihm als ehemaligem Träger des rosa Dreiecks keinerlei Entschädigung zustehe. Seine sechsmonatige Gefängnisstrafe wurde zwar auf seinen Antrag hin aus seiner Polizeiakte gestrichen. Aber für die Jahre in den Lagern attestierten sich die österreichischen Behörden Nicht-Zuständigkeit. Als Kohout in Pension ging, wurden ihm die sechs Jahre in Sachsenhausen und Flossenbürg von der Rente abgezogen – im Unterschied zur Rentenberechnung der früheren SS-Chargen im Lager. Es dauerte sieben Jahre, bis das österreichische Sozialministerium die erste und bislang einzige Ausnahme machte und seine Rente neu berechnete. Sein Antrag auf Entschädigung allerdings wurde weiterhin abgelehnt, da er ja ‘kein Opfer nationalsozialistischen Unrechts’ sei.

Kohouts Zeugnis wird bestimmt durch zwei historische Konditionen:
1. Durch den Mangel an historischer Forschung auf diesem Gebiet lag auf dem Buch eine enorme Last. Es war nicht nur das einzige Zeugnis eines homosexuellen Überlebenden, sondern zugleich die einzige historische Dokumentation der NS-Homosexuellenverfolgung.
2. Kohouts Zeugnis ist notwendigerweise geprägt vom Nachkriegsdiskurs und der Nicht-Anerkennung der NS-Homosexuellenverfolgung. Sein Buch sucht nach Argumenten, mit Hilfe derer sich diese Nicht-Anerkennung bestreiten ließe. Persönliche Memoiren, historische Forschung, politischer Diskurs – Kohouts Zeugnis wird durch die Spannung zwischen diesen drei Schreibhaltungen und seine Position in einem feindseligen öffentlichen Diskurs bestimmt.

EINE KURZE BESCHREIBUNG
Verschiedene Erzählperspektiven bestimmen den Text: sein individuelles Leiden (I); dessen Präsentation als typisches Schicksal eines homosexuellen Gefangenen (II); direkte Appelle an den Leser und dessen Gewissen (III).
(I) “Denn eine Welt brach in mir zusammen, die Welt der Freundschaft und Liebe zu meinem Freund Fred.” (S. 17) So beschreibt Kohout die erste Reaktion auf seine Verhaftung. Kohout war in einer katholischen Familie erzogen worden. Seine Studienzeit erinnert er als sorglose Zeit, mit seinem Freund Fred schmiedete er Zukunftspläne. Seine Mutter unterstützte ihn nach seinem Coming-Out. Diese mütterliche Unterstützung prägte seine Widerstandskraft:
“Welcher Sittenstrolch und Volksschädling war ich? Ich hatte einen Freund, einen Mann geliebt, keinen Minderjährigen, sondern einen 24jährigen Erwachsenen!” (S. 23/24)
(II) Während er über die langen Jahre in den Lagern berichtet, benutzt Kohout häufig Formulierungen in der Wir-Form: “[…] wir, die Männer mit dem rosa Winkel.” (S. 33) Das Schicksal anderer Mitgefangener entgeht ihm nicht. Kohout beschreibt die komplexen Beziehungen zwischen den verschiedenen Gefangenen-Gruppen: die Rivalität zwischen ‘politischen’ und ‘kriminellen’ Internierten um die Kapo-Positionen; die Ähnlichkeiten im brutalen Auftreten der SS gegenüber Juden, Roma und Sinti und Homosexuellen; die Weigerung der Zeugen Jehovas, das Lagerbordell zu besuchen; der Mord an Hunderten von russischen Kriegsgefangenen.
(III) Mit manchmal direkten Fragen wendet sich Heger an den Leser, bittet um Sympathie und moralisches Urteil: “[…] aber warum bleibt man uns Homosexuellen gegenüber so unmenschlich, warum werden wir noch immer weiter verfolgt und von den Gerichten eingesperrt wie zu Hitlers Zeiten?” (S. 169)

Dennoch, seine Geschichte ist – gerade weil sie von einem Überlebenden stammt – die Geschichte einer Minderheit von homosexuellen Gefangenen. Wenn Kohout Überlebensstrategien beschreibt, fällt er zurück in die Ich-Form. Sein Überleben basiert nicht nur auf seiner Geisteshaltung (“Und ich war von einem Gedanken besessen: Ich will leben! Ich will überleben!”, S. 45), sondern auch auf dem Austausch von sexuellen Diensten gegen den besonderen Schutz durch seine Kapos.
“Zwei Tage lang kam ich wie ein Wunder unverletzt durch den Kugelregen des Übungsschießens, da machte mir ein Capo, ein “Grüner”, das Angebot, mich nur zum Einschaufeln der Erde in die Schubkarren einzuteilen und nicht mehr zum Fahren, falls ich sein Freund sein wolle und ihm zum Gefallen sei. Ich wäre dann nicht mehr auf dem Erdwall der Schießstätte den Kugeln der SS-Schützen auf Leben und Tod ausgesetzt. […] Warum sollte ich da eine Chance, die mich zwar menschlich degradierte, mir aber das Leben rettete, nicht nützen?” (S. 53)

Weil Flossenbürg von den ‘kriminellen’ Kapos intern verwaltet und Kohout über die Jahre von verschiedenen Kapos im Tausch für sexuelle Dienste beschützt wurde, überlebte er. Sexualität, wie er offen und sachlich beschreibt, wurde zur Ware innerhalb der Lagerhierarchie. Die meisten Kapos nutzten ihre Position aus, um ‘ihren Jungs’ Schutz zu bieten, insofern diese willig waren. Diese Beziehungen wurden nicht als ‘homosexuell’ verstanden, sondern als eine Art Notsexualität.
“Die gleichgeschlechtliche Handlung zweier ‚Normaler’ wurde als Ersatzhandlung abgetan, wenn dasselbe aber zwei Homos im Einklang machten, war es eine ‚Schweinerei’, eine ‚dreckige und abscheuliche’ Angelegenheit.” (S. 78)
Natürlich blieben die Kontakte innerhalb des Lagersystems sehr riskant, sowohl wenn sie durch die SS entdeckt wurden wie auch als politisches Mittel im Machtstreit zwischen ‘politischen’ und ‘kriminellen’ Häftlingen.
“Denn jedes homosexuelle Vergehen wurde, wenn es bewiesen werden konnte, mit schweren Strafen für beide Teile geahndet, die meist den Tod nach sich zogen.” (S. 66)
Dieses System – sexuelle Ausbeutung versus Erhöhung der Überlebenschancen – änderte sich auch kaum nach der Einführung des Lagerbordells 1943, in dem weibliche Häftlinge aus Ravensbrück zur Prostitution gezwungen wurden. Ihnen war nach einer gewissen Zeit Entlassung aus dem Lager versprochen worden.
“Aber nicht in die Freiheit kamen sie, sondern zur Liquidierung ins Vernichtungslager Auschwitz, völlig verbraucht von den fast 2000 ‚Liebesakten’, die sie in diesen sechs Monaten über sich ergehen lassen mussten.
Schon am ersten Tag, bei der ‚Eröffnung’ des Bordells, marschierten 100 Häftlinge um fünf Uhr abends zum Sonderbau, der bis einundzwanzig Uhr für sie offen stand. Und diese Anzahl der Bordellbesucher hat sich fast nie verringert, an keinem Tag. Wenn man diese Häftlinge betrachtete, die lachend und freudig zu den ‚Weibern’ marschierten, so waren nicht nur noch immer strotzende Männer dabei – diese waren meist Capos oder Vorarbeiter – sondern auch genug Jammergestalten, ausgezehrte und ausgehungerte menschliche Wracks, stets zwischen Leben und Tod wandelnd und so aussehend, als ob sie jeden Augenblick tot zusammenbrechen müssten, die aber auch noch ihr ‚Vergnügen’ bei den ‚Weibern’ haben wollten. Ein deutlicher Beweis dafür, dass die Sexualität der mächtigste Trieb des menschlichen Körpers ist.” (S. 139)

Sexualität ist ein Tabu in den Erinnerungen Überlebender wie auch in der Holocaustforschung. Es ist bemerkenswert, dass Kohout das System sexueller Ausbeutung als Tauschmittel so deutlich beschreibt. Durch seine Beobachtungen ordnet Kohout Sexualität in ihrer Funktion innerhalb der Lagerhierarchie ein und beschreibt die Ausnutzung der (ja sehr) relativen Macht durch die Kapos und die konkurrierenden Häftlingsgruppen. Das Sexualverhalten im Lager ist kaum ein Ausdruck sexueller Orientierung: Die Kapos haben sowohl hetero- wie homosexuelle Kontakte. Die Jungen waren hetero- oder homosexuell, ohne dass dies für die Frage der sexuellen Dienste eine Rolle spielte. Die Frauen aus Ravensbrück wurden zur Prostitution gezwungen. Die gut dokumentierten Vorurteile gegen homosexuelle Häftlinge hatten keinerlei Einfluss darauf, dass heterosexuelle Mitgefangene homosexuelle Kontakte unterhielten und dies als Notsexualität rechtfertigten.
Für Kapos hatte diese Tauschware Sexualität zweifelsohne eine sexuelle Funktion. Für die jungen Haeftlinge war Sexualität eine Frage des Überlebens in einem Universum, in dem sie kaum andere Mittel hatten. Wie alles im Lager ist auch Sexualität definiert durch ihren Wert im Kampf ums Überleben. Nur selten ist Sexualität dabei Ausdruck von Sympathie und Zuneigung.

PIERRE SEEL: DER VERLUST DER IDENTITÄT (ERINNERUNG)
1994 veröffentlichte Pierre Seel seine Memoiren “Moi, Pierre Seel, déporté homosexuel”. [17] Er begann, zunächst anonym, Zeugnis abzulegen, nachdem er Auszüge von Heinz Hegers Buch während einer Lesung gehört hatte.

Pierre Seel wurde 1923 in Mülhausen geboren, einer Industriestadt im Elsass. Elsass-Lothringen wurde 1940 von Deutschland annektiert. Im Juni 1940 begannen die Nazis mit Razzien gegen ‘sozial unliebsame Elemente’ wie Bettler, Zuhälter, Homosexuelle oder Zigeuner. Im Mai 1941 lud die Gestapo den damals siebzehnjährigen Pierre Seel vor und befragte ihn nach seinen homosexuellen Kontakten, Cruising-Plätzen in Mülhausen und seinen Kontakten zum Widerstand. Seine Verhaftung scheint auf rosa Listen zu beruhen, die die französische Polizei angelegt hatte. In einer frühen Anordnung an alle Polizeistationen hatte die Gestapo solche Listen angefordert. [18]
Pierre Seel war sechs lange Monate im Konzentrationslager Schirmeck interniert, bis Ende 1941. Dann, wie tausende andere Elsässer, wurde er zwangsverpflichtet. Pierre musste unter einem deutschen Offizier an der russischen Front kämpfen. Er kam nach einem Irrweg über den Balkan nach Warschau, wo er von russischen Einheiten zunächst verhaftet und später befreit wurde.

Pierre stammte aus einer sehr repressiven katholischen Familie. Nach seiner Entlassung aus Schirmeck wurde er wieder in seiner Familie akzeptiert unter der Bedingung, nie über die Gründe seiner Verhaftung – seine Homosexualität – zu sprechen und damit natürlich auch nicht über die Zeit im Lager.
“Das Schweigen, das mein Vater nach meiner Rückkehr aus dem Lager Schirmeck der Familie bezüglich meiner Homosexualität verordnet hatte, blieb in Kraft: keine Vertraulichkeiten meinerseits, sie stellten ihrerseits keine Fragen. Alle taten so, als sei rein gar nichts geschehen.” (S. 107) “Als Schattengestalt kehrte ich zurück, und eine Schattengestalt blieb ich weiterhin: Anscheinend hatte ich noch immer nicht begriffen, dass ich am Leben geblieben war. Tag und Nacht suchten mich Alpträume heim, ich übte mich im Schweigen.” (S. 103)

Schweigen wurde seine Art des Lebens. “Die angesehenen bürgerlichen Homosexuellen meiner Heimatstadt waren alle zurückgekehrt. Anscheinend hatten sie nicht unter der Besatzung zu leiden gehabt. Sie sagten kein Wort und gaben auch keine Erklärung ab. Es fand keine öffentliche Diskussion über das statt, was mit den Homosexuellen geschehen war. Nichts, aber absolut nichts kam mir in meinem Schweigen zu Hilfe.” (S. 104)

Fünf Jahre nach dem Ende des Krieges, 1950, heiratete Pierre, drei Kinder wurde geboren – ein letzter Versuch, ein normales Leben zu versuchen. In einem Interview erklärte er:
“Der familiäre und soziale Druck war sehr groß. Vielleicht wollte ich mir etwas beweisen. Aber es war nicht leicht, wegen des einfachen Grundes, dass meine Homosexualität natürlich keineswegs verschwand. Eine zusätzliche Belastung bedeutete es, dass meine Frau zwar von meiner Deportation wusste, aber nicht von deren wahren Gründen. Ein solches Geheimnis vor dir sehr nahestehenden Menschen zu bewahren, ist eine große Belastung. Sie ist schwer zu ertragen.” [19]

Erst nach dem Scheitern seiner Ehe (er hat seiner Frau nie erzählt, warum er im Lager gewesen war) und einer suizidalen Periode brach er dieses Schweigen, das man ihm auferlegt hatte. Besonders die Erinnerung an die Ermordung seines ersten Freundes Jo ließ ihn dabei nicht los.
“Noch zögerte ich, von der Prüfung zu sprechen, die für mich die schlimmste von allen war, obwohl sie sich in den ersten Wochen meiner Haftzeit in diesem Lager zutrug. Mehr als alles andere trug sie dazu bei, aus mir einen gehorsamen, schweigsamen Schatten unter all den anderen zu machen.
Eines Tages forderte man uns über den Lautsprecher auf, uns auf dem Exerzierplatz einzufinden. […] Tatsächlich erwartete uns diesmal aber eine ganz andere, eine schmerzlichere Prüfung, nämlich eine Hinrichtung. Man führte einen jungen Mann, zu jeder Seite von einem SS-Mann gehalten, in die Mitte des Quadrats. Voller Schrecken erkannte ich Jo, meinen zärtlichen Freund, als ich achtzehn Jahre alt gewesen war.
Bis dahin war ich ihm im Lager nie begegnet. War er vor mir oder nach mir eingetroffen? In den paar Tagen vor meiner Vorladung bei der Gestapo konnten wir uns nicht sehen. Ich erstarrte vor Schreck. Ich hatte darum gebetet, er möge ihren Razzien, ihren Listen und ihren Demütigungen entkommen. Aber da war er, vor meinem ohnmächtigen Blick, und meine Augen füllten sich mit Tränen. Im Gegensatz zu mir hatte er keine gefährlichen Kuverts verteilt, keine Anschläge abgerissen und auch keinen Aufruf unterzeichnet. Und dennoch hatte man ihn verhaftet, und gleich würde er sterben. […]
Dann tönte laut klassische Musik aus den Lautsprechern, während die SS-Männer ihn nackt auszogen. Danach stülpten sie ihm heftig einen Blecheimer über den Kopf. Sie hetzten die reißenden Wachhunde des Lagers, die deutschen Schäferhunde, auf ihn. Zuerst bissen sie ihn in den Unterleib und in die Schenkel, bevor sie ihn vor unseren Blicken verschlangen. Seine Schmerzensschreie wurden durch den Eimer, der die ganze Zeit über seinen Kopf bedeckte, verstärkt und verzerrt. Starr und schwankend, die Augen weit aufgerissen angesichts so viel Schreckens, mit tränenüberströmten Wangen, betete ich inbrünstig darum, dass er ganz schnell das Bewusstsein verlieren möge.
Seither schrecke ich bis heute oft nachts schreiend aus dem Schlaf. Seit über fünfzig Jahren taucht diese Szene immer wieder vor meinem geistigen Auge auf. Nie werde ich die barbarische Ermordung meines Freundes vergessen. Vor meinen Augen, vor unseren Blicken. Denn Hunderte Augenzeugen waren dabei. Warum schweigen sie noch immer?” (S. 51-53)

Der Mord an Jo ist das zentrale Motiv, nach 35 Jahren Zeugnis abzulegen. Aber die Erinnerung will sich nicht ohne weiteres einstellen:
“Vergessen? Verdrängt? Es ist, als hätte ich in den Klauen der Nazis meinen ganzen Willen ausschließlich auf den Gedanken konzentriert, zu überleben, und nicht darauf, mich zu erinnern. Mir sind nur noch rein zufällige Brocken der Erinnerung geblieben, deren Unordnung mich verunsichert.” (S. 61/62) “Aber so leicht es mir fällt, gerührt, zärtlich und mühelos vom Leben meiner Eltern zu erzählen, will sich die Erinnerung daran, was diese Zeit für mich persönlich bedeutete, weniger spontan einstellen. Denn sofort kommen die schmerzlichen Dinge. Es ist, als hätte mein späteres Leid mein Glück als Kind ausgelöscht, als bewahrte ich nur noch die Erinnerung an die beängstigenden Momente.” (S. 11)

Seel beschreibt Momente eines völligen Identitätsverlustes, die immer zugleich den Verlust der Erinnerung bedeuten:
“Oder genauer gesagt, er erkannte mich, denn damals litt ich unter einer Art Gedächtnisschwund, der mir sehr zu schaffen machte. Er musste mich davon überzeugen, dass ich wirklich der Sohn des Konditors Seel war. Ich zeigte ihm meine wenigen Familienfotos. Er kommentierte sie. Da ich ohne Gepäck reiste, stückelte ich auf diese Weise wenigstens ein paar Fetzen meiner zerstörten Identität zusammen.” (S. 94)
Das auferzwungene Schweigen nach seiner Befreiung hatte seine Identität stark angetastet. Die wenigen glücklichen Notizen in seinen Memoiren finden sich, nachdem er sich seiner Mutter kurz vor ihren Tod anvertraute. Doch er verliert dieses neugewonnene Gefühl für sich selbst mit ihrem Tod.
“Als sie ging, nahm sie auch die Erinnerung an meine Deportation, meine Homosexualität und den Mord an Jo mit; fortan zog sich ein Bruch durch mein Leben, und meine Erinnerung lag unter der Erde bei jener, die es verstanden hatte, mir mein Gedächtnis zu ermöglichen.” (S. 114)

Seine Selbstentfremdung scheint charakteristisch für viele Überlebende, soweit wir dies aus Interviews schließen können. Seine destruktive Umgebung schlägt um in Selbstdestruktion:
“Im Viertel flüsterte man: “Das ist der Mann, der weint.” Zwar hatte ich die Einnahme von Beruhigungsmitteln eingestellt, stattdessen zog ich, wenn ich von der Arbeit kam, ohne meinen Mantel auszuziehen und den Hut noch auf dem Kopf, aus meinem Einkaufskorb Flaschen mit Rotwein hervor und trank im Stehen, bis ich umfiel. Das hatte nichts mit Lust zu tun, es war ein Mittel, langsam aber sicher Schluss zu machen.” (S. 135)
Aber Pierre Seel gewinnt eine Fähigkeit wieder, die den meisten Überlebenden verloren gegangen ist: die, über seine schmerzhaften Erinnerungen reden zu können. Sein Kampf in der Öffentlichkeit und die Reaktionen auf seinen Mut retten ihn:
“Ich gestehe ein, dass mir das alles Sicherheit verlieh. Plötzlich fühlte ich mich wie von einer neuen Achtung für meine Identität umgeben. Ich konnte mir selbst wieder in die Augen sehen. Zweifellos, weil ich fortan eine Aufgabe zu erfüllen hatte: durchzusetzen, dass die Deportation von Homosexuellen anerkannt wurde.” (S. 145)
Sein Auftreten in der Öffentlichkeit gewinnt mit den Jahren deutliche politische Ziele; Pierre Seel ist der politisch prominenteste und engagierteste homosexuelle Ueberlebende. Wir verdanken seinem Engagement sehr viel. Aber es begann mit einem Kampf um die eigene Identität und die Fähigkeit, sich zu erinnern. Pierre Seel setzte seinen Kampf in den achtziger Jahren fort, mit Fernsehauftritten, Teilnahme an öffentlichen Debatten und Briefe an die Präsidenten Mitterrand und Chirac, in dem er dazu aufruft, die Nazi-Verbrechen gegenüber Homosexuellen zu dokumentieren und die häufigen Zwischenfälle bei Gedenkfeiern, bei denen Homosexuellengruppen mitunter mit Polizeigewalt an einer Teilnahme gehindert werden, nicht länger zu dulden.

“Das ist es, was mich verletzt und mich motiviert, zu handeln. Was soll das heißen? Es gibt keine guten oder schlechten Deportierten! Wir wurden alle aufgrund politischer Gründe deportiert, durch systematische Durchsetzung des Nazi-Regimes. Keiner kann dies in Zweifel ziehen. Oder wir müssen über Revisionismus sprechen! Nein, ich begann alle diese Gruppen und Politiker anzurufen: Sie müssen die Homosexuellenverfolgung als solche anerkennen und die Opfer entschädigen. Die Verbrechen der Nazis dürfen nicht ignoriert und ungestraft bleiben, oder noch schlimmer, gar vergessen! Diejenigen, die überlebten, müssen Zeugnis ablegen. Wo sind sie? Ihre Familien werden nicht sprechen, sie schämen sich der Gründe der Verfolgung. Nur die Überlebenden können die Erinnerung an die Toten stiften, unsere Erinnerung.” [20]

Seine Erinnerungen streben wie die von Kohout nach einer öffentlichen Anerkennung der NS-Verfolgung von Homosexuellen, unterscheiden sich jedoch von Kohouts Zeugnis:
– Seels Memoiren beschränken sich nicht auf die Jahre 1933-1945. Seine Memoiren beschreiben die ‘Jahre der Scham’ – seine Nachkriegsjahre – und enden 1993.
– Seine Geschichte – wie die Hegers gemeint, das allgemeine Schicksal der Homosexuellen zu repräsentieren – unterscheidet sich dennoch. Seel erzählt seine Geschichte aus heutiger Perspektive und kann bei manchem auf die heutige Forschungsliteratur vertrauen. Er erzählt nicht nur uns, sondern auch sich selbst die Folgen des Schweigens für sein Leben nach 1945. Sein Identitätsverlust durch die Erfahrungen in Schirmeck und das jahrzehntelange Schweigen werden zum eigentlichen Thema seiner Erinnerungen. Seine Memoiren gehen so weit, wie eine Autobiographie dies kann: Erzählt aus der Position einer neu gefundenen Identität, der des heutigen Pierre Seel, versucht er die Zerstörung seiner Identität zu fassen. “Ich war achtzehn Jahre alt, tatsächlich besaß ich kein Alter. Mein Freund war tot, aus mir hatten die Nazis ein Wrack gemacht.” (S. 57) Der englische Titel seiner Autobiographie “I, Pierre Seel, deported homosexual” drückt dies im Untertitel aus: ‘A memoir of Nazi terror’.

VIDEO-INTERVIEWS UND INTERVIEWERFAHRUNGEN
Ich möchte der Analyse der zwei literarischen Zeugnisse einige Erfahrungen in Stichworten zur Seite stellen, die ich in den letzten Jahren durch Interviews und Gespräche mit Gad Beck, Pierre Seel, Tiemon Hofman, Stefan K., Frieda Belinfante, Karl Gorath, Heinz Doermer, Heinz F., Friedrich-Paul von Groszheim, Kurt von Ruffin, Karl Lange, George Havas, Wilhelm Kroepfl, Richard Plant, Rolf Hirschberg, Ernst Scholem und Georg Heck gesammelt habe. Die Video-Interviews mit Überlebenden, die ich in den letzten Jahren gemacht habe, sind in den Sammlungen des U.S. Holocaust Memorial Museums, der Shoah Foundation und durch den Dokumentarfilm Paragraph 175 zugänglich. Weitergehende Information sind auf meinem Website www.kmlink.net zu erhalten.

– Die Nicht-Anerkennung des NS-Homosexuellenverfolgung hat die Verarbeitung der Lager- und Gefängniserlebnisse maßgeblich erschwert und in Teilen unmöglich gemacht. Die unglaubliche Erniedrigung, erst am Leben zu bleiben und dann von der Nachkriegsgesellschaft als Krimineller behandelt zu werden, hat bei manchen Überlebenden nachhaltige psychische und physische Folgen ausgelöst. Schlechtere berufliche Chancen durch die ‘Vorstrafe KZ’, finanzielle Verarmung durch ausgebliebene Entschädigung und Verarmung durch die um die KZ-Jahre gekürzten Renten kennzeichnen die äußere Situation. Tiefes persönliches Leid, weitgehende Isolation und ohnmächtige Erbitterung über die Rechtfertigung des an ihnen begangenen Unrechts durch die bundesrepublikanischen und oesterreichischen Behörden bestimmen die Erinnerungen.
– Die Lebenserfahrung homosexueller Überlebender ist, dass ihre Verfolgung staatlich legitimiert wurde und staatlich legitimiert blieb. Kollektive Sympathie oder Unterstützung erfuhren sie nicht. Es ist sehr schwer für sie, ein lebenslanges Schweigen zu durchbrechen. Kaum gewinnen Überlebende heute noch das Vertrauen, entgegen allen ihren Lebenserfahrungen Zeugnis abzulegen – uns ihre Geschichte zu erzählen, die sie nahezu fünfzig Jahre mühsam verstecken mussten, nach der auch kaum jemand fragte.
Erst in den letzten Jahren hat sich die Lebenssituation einiger weniger Überlebender verbessert, indem sie Kontakte zu Historikern und/oder unterstützenden Gruppen/Individuen fanden. Doch noch heute gibt es immer wieder Momente in Interviews, in denen Überlebende sich unterbrechen, weil sie annehmen, dass ‘dies’ doch niemanden interessiere.
– Die wenigen Interviews, die wir heute noch machen können, sind entscheidende Zeugnisse individueller und kollektiver Verfolgung. Nach fast fünfzig Jahren Schweigen wird sich deren Anzahl jedoch im besten Fall auf 10 bis 15 Interviews beschränken. Die Geschichtsschreibung der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung kann daher nur in sehr beschränktem Maße auf Interviews mit Zeitzeugen zurückgreifen. Die Interviews bleiben Ausnahmen. Video-Interviews werden unser Geschichtsbild zukünftig maßgeblich prägen und partiell die Position von Überlebenden einnehmen. Die geringe Anzahl der homosexuellen Zeugnisse wird die Marginalisierung homosexueller Verfolgung in der Holocaustforschung, insbesondere aber auch in der Holocaust-Dokumentation in Schule und Universität, dauerhaft fortsetzen. Dennoch haben insbesondere die Interviews im Dokumentartfilm Paragaph 175 in den letzten Jahren maßgeblich zu einer Bewusstwerdung des individuellen Schicksals von Überlebenden beigetragen.
– Homosexuelle Überlebende traten bisher nur einmal kollektiv aus ihrer Isolation an die Öffentlichkeit. Sie unterschrieben ein öffentliches Memorandum homosexueller Überlebender, in die politische Anerkennung verfolgter Homosexueller als Opfer des Nazi Regimes gefordert wurde. Die Erklärung wurde von acht Überlebenden aus vier Ländern unterschrieben und fand zumindest in den Vereinigten Staaten durch einen Artikel in der New York Times einige Aufmerksamkeit. [21]

ERKLÄRUNG HOMOSEXUELLER ÜBERLEBENDER ZUM FÜNFZIGSTEN JAHRESTAG IHRER BEFREIUNG
Vor 50 Jahren wurden wir von den allierten Truppen aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Gefängnissen befreit. Aber die Welt, auf die wir gehofft hatten, wurde nicht wahr.
Wir mussten uns wiederum verstecken und wurden erneuter Verfolgung ausgesetzt. Der seit 1935 bestehende anti-homosexuelle Nazi-Paragraph 175 blieb bis 1969 gültig, Razzien waren keine Selten¬heit. Einige von uns – gerade aus den Lagern befreit – wurden erneut zu langen Gefängnisstrafen verurteilt.
Obwohl einige Überlebende trotz alledem versuchten, bis hin zum Bundesgerichtshof unsere Anerkennung als Verfolgte des Nazi-Regimes zu erstreiten, wurden wir als solche nie anerkannt und wurden deshalb von finanziellen Entschädigungen für ehemalige Verfolgte des Nazi-Regimes ausgeschlossen. Und nicht einmal die moralische Unterstützung und Solidarität der Öffentlichkeit existierte für uns.
Kein SS-Mann hat sich jemals vor Gericht für die Ermordung eines homosexuellen Mannes verantworten müssen. Aber frühere SS-Angehörige bekommen heute ihre ‘Arbeit’ auf die Rente angerech¬net, während uns die Jahre in den Lagern nicht anerkannt und daher von der Rente abgezogen werden.
Heute sind wir zu alt und zu müde, um für die Anerkennung des an uns begangenen Unrechts zu kämpfen. Viele von uns wagten es nie, darüber zu sprechen. Viele von uns starben allein mit den qualvollen Erinnerungen. Wir haben lange, aber vergeblich auf eine deutliche politische und finanzielle Geste der deutschen Regierung und deutscher Gerichte gewartet.
Unsere Verfolgung wird heute an Schulen und Universitäten kaum erwähnt. Selbst in Holocaust Museen und Gedenkstätten werden wir als verfolgte Gruppe manchmal nicht einmal genannt.
Heute, 50 Jahre später, wenden wir uns an die junge Generation und an alle, die sich nicht von Hass und Vorurteilen leiten lassen wollen. Helfen Sie mit, sich mit uns zusammen gegen eine noch immer von Vorurteilen geprägte und unvollständige Erinnerung der nationalsozialistischen Verfolgung von Homosexuellen zu wehren. Lassen Sie uns das an Juden, Roma und Sinti, Zeugen Jehovas, Freimaurern, Behinderten, polnischen wie russischen Kriegsgefan¬genen, Homosexuellen und vielen anderen begangene Unrecht nie vergessen. Lassen Sie uns aus der Geschichte lernen und die jüngere Generation von homosexuellen Frauen und Männern, Mädchen und Jungen dabei unterstützen, ihr Leben im Gegensatz zu uns in Würde und Respekt zusammen mit ihren Partnern, Freunden und Familien führen zu können. Ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft.”

SCHLUßFOLGERUNGEN
1. Fünfzig Jahre nach der Befreiung der Lager sind die Erinnerungen von Überlebenden zum Zentrum der Gedenkkultur geworden. Jede Kultur wird auch durch ihre Grenzen charakterisiert, jeder Diskurs durch das, was er nicht sagt. Die Position der Männer mit dem rosa Winkel in Bezug zu dieser Gedenkkultur ist die eines fast absoluten Schweigens. Ihre Scham, ihre Schuldgefühle, die Kontinuität ihrer Verfolgung, ihre Isolation und ihr Schweigen über all dies ist ihre Geschichte.

2. Josef Kohout und Pierre Seel ermöglichen uns sehr seltene Einblicke in die Gründe dieses Schweigens und die Folgen, die dieses Schweigen für sie hatte. Beide Zeugnisse sind geschrieben, um Identität wieder zu gewinnen. Beide schreiben gegen die Nicht-Anerkennung der Verfolgung an. In beiden Familien war die Lagerzeit ein großes Tabu. Aber ihre Lagererfahrungen unterscheiden sich zum Teil erheblich. Kohout überlebt aufgrund eines Systems sexueller Ausbeutung im Tausch für Schutz. Seel erinnert sich keinerlei sexueller Aktivitäten in Schirmeck: “Selbst für den Gedanken an einen Wunsch war an diesem Ort kein Platz. Ein Schattenbild hat weder Träume noch Sexualität.” (S. 47)
Kohout hatte eine sehr unterstützende Familie, Seel – im Hinblick auf seine Homosexualität –, einen sehr feindlichen Familienhintergrund. Ihre Zeugnisse ermöglichen einen Einblick in die Erfahrungen homosexueller Überlebender, aber es wäre zu emphatisch ihre Geschichten einfach als Geschichten homosexueller Überlebender zu bezeichnen. Ihre Geschichten sind die Ausnahmen zur Regel des Schweigens.

3. Ihr Schweigen erklärt sich nicht nur aus ihrer Verfolgung, sondern auch aus deren Fortsetzung nach 1945. Die Bundesregierung und die oesterreichische Regierung haben die Männer mit dem rosa Dreieck nicht als Verfolgte des Nazi-Regimes anerkannt und tragen damit maßgeblich zur Isolation homosexuell Verfolgter bei. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1957 ist noch immer gültig. Der politischen Kultur in Deutschland, Ost wie West und nun vereint, fehlte lange ein historisches Bewusstsein über die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung, ebenso wie ein Schuldbewusstsein über die Fortsetzung der Kriminalisierung und Diskriminierung nach 1945. Die deutsche Gedenkkultur an die Opfer des Nationalsozialismus wird noch immer von einer ‘Hierarchie der Opfer’ geprägt.

4. Einer 1993 durchgeführten Umfrage durch das American Jewish Commit¬tee zufolge wusste nur die Hälfte aller Erwachsenen in Großbritannien und nur ein Viertel aller Erwachsener in den Vereinigten Staaten, dass Homosexuelle Opfer des Nazi-Regimes waren. Das Gedenken an die Opfer des Nazi-Regimes und die historische Forschung haben mit Blick auf die Männer mit dem rosa Winkel lange Zeit versagt. ‘Get out of here, perverts’, so ein Störer bei dem ersten homosexuellen Gedenkdienst im israelischen Memorial Museum Yad Vashem am 30. Mai 1994: Es ist nur einer von vielen Zwischenfällen während zahlreicher Gedenkdienste. Die Teilnahme homosexueller Gruppen wurde oft mit Polizeigewalt verhindert. Die Gedenkkultur an die Opfer des Nazi Regimes ist so offen oder so homophob oder von Vorurteilen geprägt wie die Kultur, aus der sie kommt. Die Erinnerung an die homosexuellen und lesbischen Opfer des Nazi-Regimes war und ist noch heute bestimmt durch ein Klima von Vorurteilen und Konflikten, das es erschwert, angemessene Formen des Erinnerns zu entwickeln.
Die Holocaustforschung hat sich als Feld historischer Forschung etabliert und institutionalisiert, und in diesem Feld – seinen Standardwerken, seinen Enzyklopädien, seinen Dokumentationen, seinen Archiven, seinen Sammlungen von Oral-history-Interviews – ist die NS-Homosexuellenverfolgung kaum mehr als eine Marginalie und wird es bleiben.

5. Obwohl das rosa Dreieck seit Jahrzehnten Symbol der gay and lesbian community ist, wissen wir sehr wenig über das individuelle Schicksal der Männer mit dem rosa Winkel. Die Nazi Erfindung des rosa Dreiecks wurde zum internationalen Symbol von ‘gay and lesbian pride’, weil wir nicht ‘verfolgt’ werden von individuellen und konkreten Erinnerungen an diejenigen, die gezwungen wurden, das rosa Dreieck zu tragen. Unsere Erinnerung ist unpersönlich. Wenn etwas, dann verändern die Zeugnisse von Kohout und Seel die Anonymität unserer historischen Erinnerung.

NOTES
[1] Eine Vielzahl historischer Arbeiten zur nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung ist in den letzten Jahren erschienen. Vgl. Jean Boisson: La déportation des homosexuels (1933-1945), Paris 1988. Burkhard Jellonnek: Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung der Homosexuellen im Dritten Reich, Paderborn 1990. A mosaic of victims: Non-Jews persecuted and murdered by the Nazis, hgb. von Michael Berenbaum, New York 1990. Christoph Kranich u.a.: Schwule in Auschwitz, Bremen 1990. Massimo Consoli: Il nazismo e la persecuzione degli omosessuali, Rom 1991. Claudia Schoppmann: Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität, Pfaffenweiler 1991. Claudia Schoppmann (Hgb.): Im Fluchtgepäck die Sprache, Berlin 1991. Ilse Kokula, Ulrike Böhmer: Die Welt gehört uns doch! Zürich 1991. “Verführte Männer”: Das Leben der Kölner Homosexuellen im Dritten Reich, hgb. von Cornelia Limpricht, Jürgen Müller und Nina Oxenius, Köln 1991. Wolfgang Röll: Homosexuelle Häftlinge im Konzentrationslager Buchenwald, Weimar 1991. Justizbehörde Hamburg (Hgb.): “Für Führer, Volk und Vaterland…”. Hamburger Justiz im National¬sozialismus, Hamburg 1992. Rainer Hoffschildt: Olivia. Die bisher geheime Geschichte des Tabus Homosexualität und die Verfolgung der Homosexuellen in Hannover, Hannover 1992. Geoffrey J. Giles: ‘The Most Unkindest Cut of All’. Castration, Homosexuality and Nazi Justice, in: Journal of Contemporary History 27 (1992), S. 41-61. Günter Grau: Homosexualität in der NS-Zeit. Dokumente einer Diskriminierung, Frankfurt am Main 1993 (übersetzt: Hidden Holocaust? London 1995). David A. Hackett (ed.): The Buchenwald Report, Boulder, Colo. 1995. Pieter Koenders: Tussen christelijk réveil en seksuele revolutie. Bestrijding van zedeloosheid, met nadruk op repressie van homoseksualiteit, Amsterdam 1996. Claudia Schoppmann: Days of Masquerade: Life Stories of Lesbians During the Third Reich, New York 1996. Frank Sparing: “…wegen Vergehen nach § 175 verhaftet”. Die Verfolgung der Düsseldorfer Homosexuellen. Düsseldorf 1997. Albert Knoll: Totgeschlagen – Totgeschwiegen. Die homosexuellen Häftlinge im KZ Dachau. In: Dachauer Hefte 14 (1998) S. 77-101. Rainer Hoffschildt: Die Verfolgung der Homosexuellen in der NS-Zeit. Berlin 1999. KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hgb.), Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus, Bremen 1999. Heinrich-Böll-Stiftung (Hgb.), Der homosexuellen Opfer gedenken, Berlin 1999.
Frühe Arbeiten zum Thema: Rüdiger Lautmann, Winfried Grikschat and Egbert Schmidt: Der rosa Winkel in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, in: Lautmann, Rüdiger: Seminar: Gesellschaft und Homosexualität, Frankfurt/M 1977. Hans-Georg Stümke und Rudi Finkler: Rosa Listen, rosa Winkel, Reinbek 1981. Richard Plant: The pink triangle. The Nazi war against homosexuals, New York 1986.
Eine Bibliographie zur englischsprachigen Forschungsliteratur erstellt von Gerard Koskovich: http://members.aol.com/dalembert/lgbt_history/nazi_biblio.html.

[2] Der vorliegende Text arbeitet Vorträge aus, die ich 1996 an der Universität von Beersheva, Israel im Rahmen der Konferenz: “Belated or timely memories: The last phase of survivor literature” sowie beim Kongress „Wider das Vergessen“ in Saarbrücken gehalten habe. Ich bedanke mich ausdrücklich bei dem United States Holocaust Memorial Museums (Washington DC) für die langjährige Unterstützung, die ich dort in meiner Funktion seit 1992 als Consultant auf dem Gebiet der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung erfahren habe. Durch die Integration von relevanten Materialien in die Dauerausstellung, zahlreiche thematische oeffentliche Programme seit 1993, den Aufbau einer Sammlung zur Homosexuellenverfolgung im Archiv des Museums und durch die Arbeit mit anderen Kollegen an einfuehrenden Texten und Dokumentationen ermoeglicht das Museum heute die Planung neuer Forschungs- und Educationsprojekte. Vgl. auch die ueber die Museum’s Website zugaenglichen Hintergrund Informationen: http://www.ushmm.org/topics (USHMM Learning Center: Please use ‘homosexual’ in search function to access articles);
http://www.ushmm.org/doyourememberwhen/ (USHMM Online exhibition on intimate friendship in Zionist Youth group in Berlin 1941); http://www.ushmm.org/education/resource/hms/homosx.htm (USHMM brochure on homosexuals as victims of Nazi regime); http://www.ushmm.org/research/center/april28/; (USHMM Conference on Nazi persecution of homosexuals, April 28, 2000;real audio); http://library.ushmm.org/gays/intro2.htm (USHMM bibliography on Nazi persecution of gays and lesbians)

[3] Bis zum Juli 2001 habe ich drei Interviews mit homosexuellen Überlebenden aus Polen, den Niederlanden und Deutschland für das Oral History Department des United States Holocaust Memorial Museum (Washington) geführt sowie Interviews mit einer lesbischen Widerstandskämpferin und einem jüdisch-homosexuellen Emigranten. Ich danke für die besondere Unterstützung seitens der Direktorin des Oral History Departments, Dr. Joan Ringelheim, und ihres Assistenten Chris Johnson, ohne die diese Interviews nicht möglich gewesen wären. – Die “Survivors of the Shoah Visual History Foundation” (Los Angeles) hat zwei Interviews mit homosexuellen Überlebenden geführt, maßgeblich dank der Arbeit von Andrew Nicastro, der auch mein Interview für die Shoah Foundation mit einem verfolgten, polnischen Homosexuellen vorbereitete. Für Paragraph 175 habe ich zahlreiche Gespräche und Interviews mit Überlebenden geführt, siehe Fußnote 4.

[4] Paragraph 175. Regie: Rob Epstein & Jeffrey Friedman; Director of Research/Associate Producer: Klaus Müller ; 82 min; USA 2000) Vgl. www.kmlink.net und http://www.tellingpix.com/films/5.html Amerikanische Premiere: Sundance Film Festival, 2000; Europäische Premiere: Berlin Film Festival, 2000. Der Film beruht auf meiner Idee, die ich 1997 den beiden amerikanischen Regisseuren als gemeinsames Projekt vorschlug; eine Produktion mit deutschen Geldern schien damals unmöglich. Der Film – finanziert ohne jegliche deutsche finanzielle Beteiligung – erhielt zahlreiche Preise und hat in den letzten Jahren wesentlich zur Diskussion über die Nazi Verfolgung von Homosexuellen beigetragen. Er erhielt folgende Jury-Preise: Sundance Film Festival-Best Directors – Documentary, Berlin Film Festival-Teddy Award – Best Gay Documentary, Turin Gay Film Festival – Best Documentary, Philadelphia Int’l Gay and Lesbian Film Festival – Best Documentary, Seattle Lesbian & Gay Film Festival – Award for Excellence; Kriker-Preise: Berlin Film Festival-FIPRESCI Award (Fédération International de la Presse Cinématographique); Publikums-Preise: Turin Gay Film Festival, Milan Gay Film Festival, Pink Apple Film Festival (Schweiz), San Francisco International Lesbian and Gay Film Festival – Best Documentary, Barcelona International Exhibition of Gay and Lesbian Films – Best Feature, Film MiX Brasil Festival of Sexual Diversity – Best Film, Madrid Gay and Lesbian Film Festival – Best Feature Film.

[5] “…but I was a girl” (The life of Frieda Belinfante). Frame Media Productions, Niederlande 1999; 69 min; Regie: Toni Boumans; Assistant Director und Interview Frieda Belinfante: Klaus Müller. Vgl. auch www.kmlink.net. Dokumentarfilm über Frieda Belinfante, eine der ersten Dirigentinnen der Musikgeschichte und eine lesbische Widerstandskämpferin in den Niederlanden. TV-Premiere 1999; gezeigt auf Filmfestivals in Mailand, Los Angeles, Washington, Turin, San Francisco. Das achtstündige Interview mit Frieda Belinfante führte ich für das U.S. Holocaust Memorial Museum, es ist in der Oral History Interview Sammlung des Museums zugänglich.

[6] „Just happy the way I am“ (Regie und Koproduzent: Klaus Müller, Produzent und Kamera: Miha Lobnik; 45 min). Vgl. auch www.kmlink.net. Premiere: im Dezember 1998 als Eröffnungsfilm des 14. Slovenian Gay and Lesbian Filmfestival. Weitere Aufführungen in Rumänien, Italien, Niederlande, Ukraine, Polen, Deutschland, Litauen, Serbien. „Just happy the way I am” setzt sich mit der Rezeption der historischen Homosexuellenverfolgung durch die heutige Generation von jungen Schwulen und Lesben auseinander.

[7] Heinz Heger: Die Männer mit dem rosa Winkel, Hamburg 1972; engl.: The men with the pink triangle, Boston, Alyson 1994. – Pierre Seel: Moi, Pierre Seel, déporté homosexuel, Paris 1994; dt.: Ich, Pierre Seel, deportiert und vergessen, Köln 1996; engl.: I, Pierre Seel, deported homosexual. A memoir of Nazi terror, New York 1995.

[8] Biographische Porträts von homosexuellen Überlebenden finden sich in: Lutz van Dijk: ‚Ein erfülltes Leben – trotzdem…’ Erinnerungen Homosexueller 1933-1945, Reinbek 1992; ders.: Verdammt starke Liebe, Reinbek 1991 (engl.: Damned strong love: The true story of Willi G. and Stephan K., New York 1995); Andreas Sternweiler: ‚Fotos sind mein Leben’: Albrecht Becker”, Berlin 1993; ders.: ‚Und alles wegen der Jungs.’ Pfadfinderführer und KZ-Häftling: Heinz Dörmer”. Berlin 1994. Sechs anonymisierte Zeugnisse finden sich in: Hans-Georg Stümke/Rudi Finkler: Rosa Winkel, rosa Listen, Reinbek 1981. In verschiedenen Stadien meiner Arbeit waren Andreas Sternweiler, Hans-Georg Stümke und besonders Lutz van Dijk sehr hilfreich. Vgl. auch meine Veröffentlichung: Amnesien. Formen des Vergessens, Formen des Erinnerns. In: Der homosexuellen Opfer gedenken, hgb. von der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 1999, S. 56-69.

[9] 10.000 bis 15.000 Männer wurden als Homosexuelle in Konzentrationslagern interniert, so die von den meisten Historikern als realistisch betrachtete Zahl. Die Sterblichkeitsrate wird auf rund 60% geschätzt. Weniger als 15 homosexuelle Überlebende haben bisher ihr Schweigen gebrochen und Zeugnis abgelegt.

[10] Auf die Konstruktion der modernen homosexuellen Identität gehen zahlreiche Arbeiten im Kontext der ‘gay and lesbian studies’ ein, maßgeblich inspiriert durch das Werk von Michel Foucault. Über die spezifisch deutsche Entwicklung homosexueller Identität Ende des 19.Jahrhunderts vgl. Klaus Müller: Aber in meinem Herzen sprach eine Stimme so laut. Homosexuelle Autobiographien und medizinische Pathographien im 19. Jahrhundert. Berlin 1991.

[11] Bis in die späten achtziger Jahre fanden sich in den meisten Ausstellungen und Dokumentationen über die nationalsozialistischen Konzentrationslager keinerlei Hinweise auf Homosexuelle als Opfergruppe. Bis heute fehlt in den meisten Gedenkstätten eine Analyse der Homosexuellenverfolgung. Eine Teilnahme homosexueller Gruppen an Gedenkfeiern in ehemaligen Konzentrationslagern wurde lange Zeit verweigert, erst in den achtziger Jahren wurde es Homosexuellengruppen in einigen ehemaligen Konzentrationslagern erlaubt, Gedenktafeln anzubringen, nach Jahren politischen Streits. Die wachsende Zahl der Gedenktafeln und -steine signalisiert jedoch auch einen langsamen Wechsel in der öffentlichen Meinung. Gedenksteine finden sich in Mauthausen (1984), Neuengamme (1985), Dachau (1987) und Sachsenhausen (1992). Mahnmale außerhalb des Geländes ehemaliger KZs wurden in Amsterdam (1987), Berlin/Nollendorfplatz (1989), Bologna (1990), Den Haag (1993), Frankfurt (1994) und Köln (1995) errichtet. Vgl. Anm. 8, Müller 1999.

[12] Die Initiative – Der homosexuellen Opfern gedenken arbeitet seit 1996 an einem zentralen Monument zur Erinnerung an die homosexuellen Nazi Opfer, vgl. http://gedenk-ort.lsvd.de/index2.htm und den Konferenzband: Der homosexuellen Opfer gedenken. Hgb. von der Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin 1999.
Die Pink Triangle Coalition ist eine internationale Advocacy Organisation von acht Homosexuellengruppen in den USA, Europa und Israel, die seit einigen Jahren Interessen von Überlebenden in internationalen Verhandlungen vertritt, vgl. www.kmlink.net.
Zur Arbeit des United States Holocaust Memorial Museum vgl. www.ushmm.org, Weinraub, Judith. “Trials of the Pink Triangle: Historian Klaus Mueller, Documenting the Nazi Torment of Gays,” Washington Post (June 6, 1994): pp. D1, D4;. Linenthal, Edward T. Preserving Memory: The Struggle To Create America’s Holocaust Museum (New York 1995; S. 187-89); Hart, Sara. “A Dark Past Revealed,” 10 Percent [San Francisco], vol. 1, no. 5 (Winter 1993): 37-39, 74; Dunlap, David W. “Personalizing Nazis’ Homosexual Victims,” New York Times (June 26, 1995): pp. A1, B4., und die Museumskonferenz zum Thema http://www.ushmm.org/research/center/april28/agenda/agenda.htm.
Zu Paragraph 175: Vgl. Anmerkung 4 und http://www.tellingpix.com/films/5.html und www.kmlink.net

[13] Vgl.: Der Spiegel: §175 Das Gesetz fällt – bleibt die Ächtung? Nr. 20, 1969 (S. 62).

[14] Vgl. auch Klaus Müller: Amnesien. Formen des Vergessens, Formen des Erinnerns. In: Der homosexuellen Opfer gedenken. Hgb. von der Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin 1999.

[15] Im folgenden zitiert nach Heinz Heger: Die Männer mit dem rosa Winkel. 4. Ausg. Hamburg 1993. Vgl. auch mein Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von ‚The men with the pink triangle’. Boston 1994.

[16] Ich danke Herrn Kroepfl besonders herzlich für seine Zustimmung zum Abdruck einiger Passagen aus unserer Korrespondenz, für seine Offenheit und seine Unterstützung.

[17] Im folgenden zitiert nach: Ich, Pierre Seel, deportiert und vergessen. Köln 1996.

[18] Vgl. auch die Anmerkungen zur deutschen Ausgabe von Mario Kramp, bes. Anm. 12 (S.167/168).

[19] Vgl. Interview mit Pierre Seel: Bearing Witness. In: Gay Times, November 1989. Ich bedanke mich besonders bei Hans Soetaert (Gent), Karsten Witte (Berlin) und Adam Brown (New York) für ihre Hilfe beim Zustandekommen meines Kontaktes mit Pierre Seel.

[20] Vgl. Interview mit Pierre Seel: Le détail homo. Le témoignage et le combat d’un triangle rose. In: Gai Pied, Oktober 1988.

[21] Die Erklärung homosexueller Überlebender fünfzig Jahre nach ihrer Befreiung wurde am 29. Mai 1995 veröffentlicht. Die Erklärung entwickelte sich aus einer Korrespondenz zwischen homosexuellen Überlebenden und mir. Sie wurde im Rahmen eines oeffentlichen Programmes des United States Holocaust Memorial Museums von mir am 28. Mai 1995 in Washington DC zum ersten Mal veroeffentlicht. Vgl. David W Dunlap, “Personalizing Nazis’ Homosexual Victims,” New York Times (June 26, 1995): pp. A1, B4. (Vgl. http://www.english.upenn.edu/~afilreis/Holocaust/personalize-gays.html)
Acht homosexuelle Überlebende aus vier Ländern – Polen, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland – unterzeichneten die Erklärung.

BIOGRAPHICAL REFERENCE ARTICLE
Klaus Mueller: Totgeschlagen, totgeschwiegen? Autobiographische Zeugnisse homosexueller Überlebender. In: Nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle. Verdrängt und ungesühnt. Hg. von Rüdiger Lautmann und Burkhard Jellonek. Paderborn 2002.