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DR KLAUS MUELLER

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AMNESIEN: FORMEN DES VERGESSENS, DES ERINNERNS (Der homosexuellen NS-Opfer gedenken. Berlin 1999)

Amnesien: Formen des Vergessens, Formen des Erinnerns. – Ein Denk- oder Mahnmal, ein Gedenkstein oder eine Gedenktafel ist immer eine Form öffentlichen Erinnerns, also kollektiver Sinnzuweisungen. Die Semantik dieser skulpturalen oder architektonischen Erinnerungszeichen beruht nicht nur auf ihrem räumlich-historischen Umfeld, sondern auch dem diskursiven Umfeld, das sie hervorbringt. Ohne eine solche diskursive Gedenkkultur (Ausschreibungen, Debatten, Medieninteresse, Forschung, Rituale, Historisierung) verliert das Gedenkzeichen seine kollektiven Bedeutungen, wird beliebig und letztlich zu dem, was es zumeist schon ist, Stein.

Ein Homomonument, als ein – wie es im Kopf der Einladung heißt – ‘lebendiges Zeugnis lesbischer Frauen und schwuler Männer im Nationalsozialismus’ (womit wohl das Gedenken der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus gemeint ist, nicht der homosexuellen Täter und lesbischen Täterinnen), ist in seiner potentiellen Semantik durch sein diskursives Umfeld bereits vorgeformt, unabhängig davon, welche künstlerische Form das Monument annehmen wird. Es ist vorgeformt in seinen diskursiven Bedeutungen: Bedeutungen, die sich natürlich aus der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung ergeben, also der Zeit 1933-1945, aber die wesentlich auch von der Nachkriegsgeschichte mitbestimmt werden. Im Folgenden möchte ich dieses diskursiv-geschichtliche Bezugsfeld (also nicht das räumlich-historische Umfeld), in vier Punkten skizzieren, mit einigen abschließenden Bemerkungen.

1. FORSCHUNG, DOKUMENTATION, ERZIEHUNG
Nimmt man an, daß Denkmäler als öffentliche Zeichen kollektiven Erinnerns auch auf der Erforschung und Dokumentation des zu Erinnernden beruhen (und es gibt viele Beispiele, wo dies nicht der Fall ist), ist offensichtlich, daß ein Homomonument auf eine solche Forschung und Dokumentation nur sehr bedingt vertrauen kann. In der Holocaust Forschung wurde die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung lange Zeit negiert.

Die Ende der 40er Jahre stark auflebende Homophobie in Europa wie den Vereinigten Staaten (McCarthy) tabuisierte die Analyse dieser spezifischen Form nationalsozialistischer Ideologie und Verfolgungspraxis. So wurde auch eine politische Analyse der vielfältigen Kontinuitäten verhindert, die sich natürlich nicht allein hier, aber auf eine besondere Art auch bei diesem Thema vor und nach 1945 herstellten. Öffentlich ausgedrückter Antisemitismus wurde zu einem Tabu nach 1945; die Homosexuellenfeindlichkeit jedoch blieb unhinterfragt. Der ‘Homosexuelle als Anderer’ wurde zum Symbol des Außenseiters und Perversen and als Abgrenzungsfigur von fast allen gesellschaftlichen Gruppen gleichgültig welcher politischer Prägung in ihrem Anspruch auf Respektabilität benutzt.

In den 50er und 60er Jahren wurden homosexuelle Opfer in der Forschungsliteratur nicht thematisiert, obwohl die Homosexuellenverfolgung in zahlreichen Dokumenten wie Zeugnissen von Überlebenden und Soldaten Alliierter Truppen bezeugt worden war. Das Nürnberger ‘International Military Tribunal’ ging der Verfolgung von Homosexuellen nicht nach. Eine erste Dokumentation legte erst 1972 Heinz Heger’s Zeugnis ‘Die Männer mit dem rosa Winkel’ vor. Rüdiger Lautmanns Studien und Stümke/Finkler’s ‘Rosa Winkel, Rosa Listen’ folgten Ende der 70er Jahre. Mit Ausnahme von Richard Plants Studie ‘The men with the pink triangle’ (1986) erschienen erst Anfang der 90er Jahre eine Reihe von Untersuchungen, die ein differenzierteres Bild ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt jedoch hatte sich die Holocaustforschung längst als Feld historischer Forschung etabliert und institutionalisiert, und in diesem Feld – seinen Standardwerken, seinen Enzyklopädien, seinen Dokumentationen, seinen Archiven, seinen Sammlungen von oral-History Interviews – ist die NS-Homosexuellenverfolgung kaum mehr als eine Marginalie und wird es bleiben.

Konferenzen zu diesem Thema gab es bisher nur in London 1995 und Saarbrücken 1996. An Universitäten ist dieses Thema trotz breitem Lehrangebot zum Thema Nationalsozialismus nur spärlich vertreten; Schulbücher erwähnen es nicht oder nur am Rande, Unterrichtsmaterialien fehlen völlig. Dokumentationszentren und -museen auf dem Gebiet ehemaliger Konzentrationslager haben homosexuelle Opfer lange Zeit verschwiegen. Nur zögernd werden sie in den letzten Jahren in manchen, nicht allen Ausstellungen zumindest genannt: Informationen oder Analysen jedoch fehlen zumeist völlig.

Einer 1993 durchgeführten Umfrage durch das American Jewish Committee zufolge wußte nur die Hälfte aller Erwachsenen in Großbritannien und nur ein Viertel aller Erwachsener in den Vereinigten Staaten, daß Homosexuelle Opfer des Nazi Regimes waren. Die Gedenkkultur und die historische Forschung haben mit Blick auf die Männer mit dem rosa Winkel und die schwierigen Lebensbedingungen lesbischer Frauen versagt.

2. GESCHICHTE HOMOSEXUELLER GEDENKZEICHEN
Die weltweit erste Gedenktafel an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus wurde am 9. Dezember 1984 im ehemaligen Konzentrationslager von Mauthausen enthüllt. Die Tafel trug die Inschrift: “Totgeschlagen, totgeschwiegen. Den homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus. Die Homosexuellen Initiativen Österreichs 1984.”

Diese erste Gedenktafel kann als Gegen-Monument wie abstraktes Gedenkzeichen interpretiert werden. Es erinnert nicht nur an die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung (Totgeschlagen), sondern auch an deren Verleugnung und Verdrängung in der Nachkriegszeit (Totgeschwiegen). Es thematisiert damit explizit seine eigene problematische Funktion als Gedenkzeichen, erinnert also nicht nur, sondern spricht auch über das Erinnern (bzw. dessen Fehlen) und den diskursiven Raum, in dem dieses Erinnern gescheitert ist bzw. stattfinden muß. Das Gedenken (als von der Nachkriegsgesellschaft verhindertes) wird sich selbst zum Thema, und diese prägnante Dopplung charakterisiert jedes Gedenken an die homosexuellen Opfer bis heute und verknüpft unweigerlich Vergangenheit mit der Gegenwart. Jedem Gedenkzeichen der NS-Homosexuellenverfolgung sind die Fragen eingeschrieben: Warum erst jetzt? Wie erklaert sich die Kontinuitaet der Verfolgung nach 1945?

Die Gedenktafel folgte einer gelebten Neu-Interpretation des ‘rosa Winkels’ als Symbol von ‘gay pride’ und ‘Nie wieder’ seitens der zweiten deutschen Homosexuellen- und Lesbenbewegung in den 70er Jahren. Vielfach funktionierte damals das öffentliche Tragen des rosa Dreiecks auf Jacken und Pullovern nicht nur als ein nur Eingeweichten verständliches Signal in der Öffentlichkeit, sondern auch als Form des Gedenkens und Protestes gegen den Ausschluß der Männer mit dem Rosa Winkel von jeglicher öffentlicher Anerkennung.

Die Mauthausener Gedenktafel fungierte als Modell für Gedenktafeln auf dem Gelände ehemaliger Konzentrationslager in Deutschland, ähnliche Tafeln wurden 1985 in Neuengamme und 1991 in Sachsenhausen eingeweiht. Das Schicksal einer nach dem Mauthausener Vorbild angefertigten Gedenktafel für das Konzentrationslager Dachau durch Münchener Homosexuellengruppen mag als Beispiel gelten, wie sehr die Gedenkkultur an den Holocaust mit einer strukturellen Homophobie einherging bzw. mitunter noch geht.

Am 4. Februar 1985 schrieb die Huk (Homosexuelle und Kirche), Regionalgruppe München an das Comité International de Dachau (CID, einem Komitee ehemaliger politischer Häftlinge des Konznetrationslagers Dachau mit Sitz in Brüssel) mit der Bitte um Zustimmung, eine Gedenktafel zur Erinnerung an die homosexuellen Opfer nach dem Mauthausener Vorbild aufstellen zu dürfen – anläßlich des 40. Jahrestages der Befreiung von Dachau. In einer ersten Reaktion verweist die CID auf die Generalversammlung als Entscheidungsforum, die eine Plazierung des Gedenksteins zum 40.Jahrestag wohl unmoeglich mache.

Daraufhin schicken Münchner Homosexuellen-Gruppen, massgeblich wiederum die HuK und der VSG (Verein fuer sexuelle Gleichberechtigung) einen Brief an die Dachauer Generalversammlung, 1300 Unterschriften sind beigefuegt. Fast ein Jahr später, am 22.Januar 1986, fragt die Huk nach, hört jedoch, die Generalversammlung hätte noch nicht getagt. Man bittet jedoch um Dokumentation über die nationalsozialistische Homsexuellen-Verfolgung. Die Huk verweist auf die Untersuchungen von Ruediger Lautmann und andere Forschungsliteratur und zeigt sich uebberrascht ueber die Unkenntnis.

Zwar gehoert das Gelände der Gedenkstätte dem Land Bayern, doch die Gestaltung der Gedenkstätte unterliegt dem CID. Am 10.5.1986 lehnt der Verwaltungsrat inoffiziell ab. Geruechten zufoge begruenden insbesondere sowjetische Vertreter die Ablehnung mit Verweis auf die Homosexuellen-Strafverfolgung in der Sowjet-Union. Eine offizielle Antwort des CID erfolgt jedoch nicht, trotz nationaler und internationaler Proteste im Mai 1986 und Mai 1987. Im Mai 1988 stimmt die evangelische Versöhnungskirche, die innerhalb des Geländes des ehemaligen Konzentrationslagers liegt, einer provisorischen Aufstellung des Steins ‘unter ihrem Schutz’ zu. Bei den jaehrlichen Gedenkfeier n zwischen 1987 und 1989 tragen Homosexuellen-Initiativen das Spruchband: “Wer die Verbrechen an Homosexuellen totschweigt, der billigt sie letztlich”. Im Frühjahr 1990 fragt die Cid erstmals nach, ob die HUk anläßlich des 45. Jahrestages Blumen- oder Kranzgebinde niederlegen wolle, verbunden mit der Bitte, keine Spruchbänder zu tragen. Der Bitte wird entsprochen. Fazit: Noch 1994 befand sich die Gedenktafel als ‘vorläufiges Arrangement’ unter dem Schutz der evangelischen Versöhnungskirche, und ist damit zu einem Gedenkzeichen in eigener Sache geworden – das Gedenken als provisorisches, der Gedenkstein ‘unter der Schutz’ der evangelischen Kirche.

Es gibt nur wenige Gedenkzeichen außerhalb früherer Konzentrationslager, die an die Verfolgung homosexueller Männer und lesbischer Frauen während der Nazi Jahre erinnern: in Amsterdam (1987), Berlin-Schöneberg (1989), Bologna (1990), Koeln 1995 und in Frankfurt (1996). Die Kontroversen jedoch sind bis heute nicht verstimmt. Während der siebziger und achtziger Jahre stieß die Teilnahme von homosexuellen Gruppen an Gedenkfeiern auf großen Widerstand und wurde häufig untersagt bzw. von der Polizei verhindert. Trotz zahlreicher Zwischenfälle hat sich nur sehr bedingt ein Dialog zwischen Homosexuellengruppen, den Verbänden ehemaliger Häftlinge, den lokalen Autoritäten und den jeweiligen Dokumentationszentren bzw. Museen entwickelt.

Ein Beispiel aus der unmittelbaren Vergangenheit zeigt, daß Homophobie, Unverständnis und fehlende Kommunikation noch immer die Holocaust Gedenkkultur prägen. Als Israelische und jüdisch-amerikanische Homosexuellengruppen 1994 den ersten schwul-lesbischen Gedenkdienst in der Gedenkstätte Yad Vashem organisierten, kam es zu massiven Störungen durch rechtsextreme orthodoxe Juden. Der Gedenkdienst war mit Zustimmung von Yad Vashem organisiert worden und folgte den Richtlinien der Gedenkstätte für Gedenkdienste in Yad Vashem’s ‘Hall of Remembrance’. Die einzige Referenz an den besonderen Charakter dieses Gedenkdienstes war dem Gebet des Eil Moleh Rachamin zugefügt: “all who perished in the Holocaust especially gay men and lesbians”.

Trotz dieser sehr zurückhaltenden Haltung, störten Demonstranten das Gebet, schrieen ‘Aids!’ und ‘Get out of here, perverts’. Yad Vashem distanzierte sich von dem Gedenkdienst, nicht dem Protest; eine extensive Mediendebatte folgte; die Knesset widmete dem Vorfall eine ganze Debatte. Internationale Stimmen mischten sich ein, von der ‘New York Times’, die ein Foto abdruckte von zwei homosexuellen Männern während des Gedenkdienstes mit dem Untertitel “They also died’ bis hin zu Efraim Zuroff, dem Chairman des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles, Zitat: “This is using the Holocaust… to gain publicity.”

Die Gedenkkultur an die Opfer des Nazi Regimes ist so offen, oder homphob oder bevorurteilt wie die Kultur, aus der sie kommt. Die Erinnerung an die homosexuellen und lesbischen Opfer des Nazi Regimes war und ist noch immer bestimmt durch ein Klima von Vorurteilen und Konflikt, das es erschwert, angemessene Formen des Gedenkens zu entwickeln. Heute zeichnet sich eine Integration ab, die jedoch eine selbstkritische Aufarbeitung der historischen Altlasten kaum leistet, und das historische Verhältnis der verschiedenen Opfergruppen nicht offen thematisiert. Der Bezug eines Homomonuments zu anderen Gedenkzeichen für andere Gruppen ist von daher vage und unbestimmt.

3. ROSA WINKEL
Ich referierte bereits an den Rosa Winkel als Idenifizierungssymbol in den 70er und z.T. 80er Jahren. Was damals selbstverständlich schien, erscheint heute fragwürdig. Der seltsame Wechsel des rosa Winkels vom nationalsozialistischen Kennzeichen des Untermenschen zum kollektiv-stolzen Erkennungszeichen Homosexueller und Lesben in den 70er und z.T. 80er Jahren suggeriert eine Verzahnung der Geschichte, die bei allen verständlichen Emotionen verkürzend wirkt. Die 70er Jahre sind Geschichtsmeilen entfernt von den 30er und 40er Jahren; die Wahl eines Nazi-Symbols als Identifikationszeichen erscheint melodramatisch und seltsam geschichtslos, gerade in der Bemühung, an Verfolgung erinnern zu wollen. Es mag sicherlich etwas aussagen über das Gefühl der Bedrohung, das noch in den 70er Jahren präsent war. Doch es erscheint nicht zufällig, daß das politische Signal letztlich ein abstraktes Zeichen ist: Es erinnert an den rosa Winkel, nicht an die, die gezwungen wurden, ihn zu tragen. Denn in den 70er Jahren war die ‘Erinnerung’ an die homosexuellen Opfer eine abstrakte Erinnerung, kaum gestört von konkreten Namen, Gesichtern, individuellen Geschichten.

Die zweite deutsche Homosexuellen- und Lesbenbewegung hat es weder vermocht noch mit Entschiedenheit versucht, den Kontakt zu Überlebenden herzustellen. Insbesondere die politische Radikalitität der siebziger/achtziger Jahre und deren ästhetischer Ausdruck war manchen Überlebenden fremd bis befremdend. Das historische Nazi Zeichen hat mittlerweile vielfaches Recycling erfahren. ACT UP stellte das Nazi Symbol (und mit ihm dessen Symbolik) auf den Kopf und proklamierte ‘Silence equals death’, eines der wohl einflußreichsten Kürzel, um AIDS bzw. die fatalen Folgen des Schweigens sichtbar zu machen. So genial diese Uminterpretation erschien, der Preis jedoch war hoch: AIDS erfuhr durch dieses graphische Neuinterpretation sicherlich eine erhöhte ‘Visibility’, doch die Geschichte verkürzte sich – nicht zufällig – auf die Gegenwart: Aids equals Holocaust, so ACT UP Vordenker Larry Kramer in seinem frühen Buch über AIDS ‘Reports from the Holocaust’. Der rosa Winkel wurde zur Ikone eines ahistorischen schwulen Martyriums, auferlegt von bösen Nazis und bösen Viren, und wurde im Eilverfahren zur Stafette des queer Widerstands aufgerufen.Kann man so mit historischen beladenen Symbolen umgehen?

Der rosa Winkel war zum leeren Symbol geworden, das man beliebig semantisch neu fuellen konnte. Während er bei ACT UP zumindest noch einer prägnanten und richtigen Botschaft diente, hat er sich mittlerweile als bloße Erkennungsschablone von jeglicher Geschichte losgelöst: Der Rosa Winkel wurde zum Einkaufswimpel des wachsenden schwulen Markts.

4. ÜBERLEBENDE
Die Gedenkkultur an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung stützt sich auf zwei unterschiedliche Formen der Erinnerung: einerseits die professionelle historische Forschung, andererseits die individuellen Zeugnisse der Überlebenden selbst: ihre Memoiren, Ego-Dokumente und Interviews.

Schätzungen zufolge gibt es weltweit rund 15.000 Video und Audiointerviews mit jüdischen Überlebenden. Steven Spielberg’s “Shoah Foundation” will bis Ende der 90er Jahre 50.000 neue Interviews – schwerpunktmäßig mit jüdischen Überlebenden – hinzufügen. Dagegen kennen wir bisher nur zwei literarische Zeugnisse homosexueller Überlebender: Heinz Hegers “Die Männer mit dem rosa Winkel” (1972) und Pierre Seels “Moi, Pierre Seel, déporté homosexuel” (1994). Wir haben fünf oral history Videointerviews mit homosexuellen Überlebenden in der oral history Kollektion des U.S. Holocaust Memorial Museums und vier Interviews bei der Shoah Foundation. Eine Handvoll biographischer Dokumentationen sowie weniger als 15 zum großen Teil anonymisierte Interviewfragmente mit homosexuellen Überlebenden bei Stümke/Finkler und anderen Publikationen fügen sich zu dieser – im Vergleich – marginalen Anzahl historischer Zeugnisse.

Welche Rolle spielen homosexuelle Überlebende in unserer Erinnerungsarbeit, und zugleich, welche Rolle spielt diese Erinnerungsarbeit für Sie heute?

Wir gehen häufig von der falschen Prämisse aus, daß wir das Schicksal der Männer mit dem rosa Winkel und ihre Erfahrungen nach 1945 problemlos als kollektives annehmen können. Doch mehr als 99% aller homosexueller Überlebender hat uns ihre Geschichte nie erzählt, wird ihre Geschichte nie erzählen, sondern blieb allein mit der Erinnerung und starb allein mit der Erinnerung. Die Annahme einer wie auch immer charakterisierten Gruppe homosexueller Überlebender ignoriert die extreme Isolation als bedeutendstes Charakteristikum ihres Lebens nach der Befreiung. Homosexuelle Überlebende haben sich kaum als Teil eines Kollektivs gefühlt. Das ihnen durch die Nachkriegsgesellschaften auferzwungene Schweigen hat sie individualisiert. Ihre Verfolgung wurde zum individuellen Schicksal. Die Nicht-Anerkennung der NS-Homosexuellenverfolgung hat die Verarbeitung der Lager- und Gefängniserlebnisse maßgeblich erschwert. Die unglaubliche Erniedrigung, zu überleben und dann von der Nachkriegsgesellschaft als Krimineller behandelt zu werden, hat bei manchen Überlebenden nachhaltige psychische und physische Folgen gehabt. In diesem Sinn sind die Homosexuellen, die 1945 die Lager verliessen, keine ‘Überlebende’, sie haben nur überlebt.

Die Lebenserfahrung homosexueller Überlebender ist, daß ihre Verfolgung staatlich legitimiert wurde und staatlich legitimiert blieb. Es ist sehr schwer für sie, ein lebenslanges Schweigen zu durchbrechen, steht dies doch im Gegensatz zu fast all ihren Lebenserfahrungen. Nur schwer gewinnen Überlebende heute noch das Vertrauen, entgegen allen ihren Lebenserfahrungen Zeugnis abzulegen – uns ihre Geschichte zu erzählen, die sie nahezu 50 Jahre mühsam verstecken mußten, nach der kaum jemand fragte.

SCHLUSSBEMERKUNGEN
Ein Homomonument kann sich nur bedingt auf die historische Forschung, und ein durch sie etabliertes öffentliches Wissen berufen. Ein Verständnis der NS-Homosexuellenverfolgung im Kontext nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik und Rassenlehre ist in der Öffentlichkeit kaum vollzogen. Auch jene, die als Multiplikatoren im Bereich von Holocaustforschung und Holocaust Gedenkkultur arbeiten, verfügen zumeist nur über pauschale Faktenkenntnisse. Jenes historische und veröffentlichte Wissen, also der diskursive Raum, innerhalb dessen das Monument seine Bedeutungen erlangen wird, fehlt oder ist nur einem eingelesenen Publikum präsent – ein zentrales Problem für ein Monument, das mehr als nur Stein sein will.

50 Jahre nach der Befreiung der Lager sind die Erinnerungen von Überlebenden zum Zentrum der Gedenkkultur geworden. Jede Kultur wird auch durch ihre Grenzen charakterisiert, jeder Diskurs durch das, was er nicht sagt. Die Position der Männer mit dem rosa Winkel in Bezug zu dieser Gedenkkultur ist die eines fast absoluten Schweigens. Ihre Scham, ihre Schuldgefühle, die Kontinuität ihrer Verfolgung, ihre Isolation und ihr Schweigen über all dies ist ihre Geschichte. Ein Homomonument trägt die Scham, nicht nur der Opfer sehr spät zu gedenken, sondern vor allem für die Überlebenden zu spät zu kommen.

Trotz des rosa Dreiecks als langjährigem Symbol der gay and lesbian community wissen wir sehr wenig über das individuelle Schicksal der Männer mit dem rosa Winkel. Die Nazi Erfindung des rosa Winkels wurde zum internationalen Symbol von ‘gay and lesbian pride’, weil wir nicht verfolgt werden von individuellen und konkreten Erinnerungen an diejenigen, die gezwungen wurden, den rosa Winkel zu tragen. Unsere Erinnerung ist unpersönlich. Ein Homomonument muß meiner Ansicht nach der individuellen Opfer gedenken: Als allgemeine Erinnerung der NS-Homosexuellenverfolgung ist es ueberflüssig und vergrößert nur das Vakuum, in dem sich unser Gedenken befindet.

Kein anderes als das Dachauer Gedenkzeichen und seine Geschichte symbolisiert die lange Zeit dominante Holocaust Gedenkkultur in ihrer Verstrickung in homophobe Grundhaltungen – und einen der Gründe, warum wir hier und heute über ein spezielles Homomonument nachdenken. Die Einweihung eines Gedenkzeichens stieß häufig auf soviel Widerstand, daß kaum Energie blieb, dessen Bedeutungen zu reflektieren: Für wen, warum, mit welchem Ziel, in welcher Form versuchen wir die Verfolgung von Homosexuellen und Lesben zu erinnern? Ist es überhaupt angemessen, das Schichsal der Männer mit dem rosa Winkel mit der Diskriminierung lesbischer Frauen im Nationalsozialismus zu vergleichen, beide Gruppen also einander zu subsumieren, trotz evident unterschiedlicher Formen der historischen Verfolgung?

Entscheidende historische und politische Fragen wurden bisher selten gestellt: Ist die NS-Verfolgung ein extremer Ausdruck von Homophobie, unter der wir noch heute, wenn auch gemildert, leiden, oder war sie eine Ausnahme in einer Geschichte relativer Intoleranz und Diskriminierung und als solche ungeeignet als Dauerreferenz oder Spiegel für zeitgenössische Homosexuellenpolitik? Wieweit wollen wir vergleichen, wo wollen wir unterscheiden? Soll ein Homomonument eine konkrete Erinnerung an konkrete Opfer in einer konkreten Vergangenheit sein und die Herstellung des Gegenwartsbezugs dem Betrachter überlassen, oder wird es zum Symbol einer unhistorischen homosexuellen Opfergeschichte?

Ein Homomonument heute muß die unheilvollen Traditionen bisheriger Gedenkkultur reflektieren, sich von ihnen jedoch nicht bestimmen lassen. Natürlich wird es zu Konfrontationen kommen. Aber ein Ausrufezeichen, die Bereitschaft zur Konfrontation allein ist nicht genug. Ich hoffe auf das Mahnmal als Chance, 50 Jahre nach dato ein differenzierteres Verhältnis zur eigenen Geschichte zu entwickeln als dies in einem Kampf gegen Marginalisierung und zeitgenössische Vorurteile bisher möglich war.

BIOGRAPHICAL REFERENCE ARTICLE
Klaus Mueller: Amnesien: Formen des Vergessens, Formen des Erinnerns. In: Der homosexuellen NS-Opfer gedenken. Hg. von der Heinrich-Boell-Stiftung. Berlin 1999.